Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Verbraucherkreditvertrag. Richtlinie 93/13/EWG. Art. 1 Abs. 2. Klausel, die auf einer bindenden Rechtsvorschrift beruht. Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1. Klausel über die vorzeitige Fälligstellung. Gerichtliche Nachprüfung. Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Vertragsverstöße des Verbrauchers. Art. 7 und 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Grundpfandrechtlich gesicherter Vertrag. Außergerichtlicher Verkauf der Wohnung des Verbrauchers
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7, 38
Beteiligte
Všeobecná úverová banka a.s. |
Tenor
Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind im Licht der Art. 7 und 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei der gerichtlichen Kontrolle der Missbräuchlichkeit einer in einem Verbraucherkreditvertrag enthaltenen Klausel über die vorzeitige Fälligstellung nicht berücksichtigt wird, ob die dem Gewerbetreibenden eingeräumte Möglichkeit, das ihm aus dieser Klausel erwachsende Recht auszuüben, im Hinblick auf Kriterien verhältnismäßig ist, die insbesondere mit der Schwere des Verstoßes des Verbrauchers gegen seine Vertragspflichten, wie dem Betrag der Raten, die im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag des Kredits und der Laufzeit des Vertrags nicht gezahlt wurden, sowie mit der Möglichkeit zusammenhängen, dass die Anwendung dieser Klausel dazu führt, dass der Gewerbetreibende die aufgrund der Klausel geschuldeten Beträge durch den Verkauf der Familienwohnung des Verbrauchers ohne jegliches gerichtliches Verfahren einziehen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-598/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Krajský súd v Prešove (Regionalgericht Prešov, Slowakei) mit Entscheidung vom 13. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2021, in dem Verfahren
SP,
CI
gegen
Všeobecná úverová banka a.s.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin), der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von SP und CI, vertreten durch L. Riedl, Advokát,
- – der Všeobecná úverová banka a.s., vertreten durch M. Hrbek, Advokát,
- – der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová, dann durch E. V. Drugda als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Goddin, R. Lindenthal und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Januar 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in Verbindung mit ihren Art. 7 und 38, der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29), von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22, berichtigt in ABl. 2009, L 253, S. 18), von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2011, L 234, S. 46) in der durch die Richtlinie 2011/90/EU der Kommission vom 14. November 2011 (ABl. 2011, L 296, S. 35) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2008/48) sowie des Effektivitätsgrundsatzes.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SP und CI auf der einen und der Všeobecná úverová banka a.s. (im Folgenden: VÚB), einem Kreditinstitut, auf der anderen Seite über die Aussetzung der außergerichtlichen Verwertung des Grundpfandrechts an ihrer Wohnung, das den zwischen diesen Parteien geschlossenen Kreditvertrag sichert.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 13 und 16 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Bei Rechtsvorschriften ...