Entscheidungsstichwort (Thema)
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Verbot für die Mitgliedstaaten, neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einzuführen
Beteiligte
Staatssecretaris van Justitie |
Tenor
Unter den Umständen der Ausgangsverfahren, die eine nationale Bestimmung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an türkische Arbeitnehmer betreffen, ist Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des mit dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation dahin auszulegen, dass eine Verschärfung einer nach dem 1. Dezember 1980 eingeführten Bestimmung, die eine Erleichterung der am 1. Dezember 1980 geltenden Bestimmung vorsah, eine „neue Beschränkung” im Sinne dieser Vorschrift darstellt, auch wenn diese Verschärfung nicht die Bedingungen für die Erteilung der Erlaubnis im Vergleich zu den sich aus der am 1. Dezember 1980 geltenden Bestimmung ergebenden Bedingungen verschlechtert; es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies der Fall ist.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidungen vom 24. Juli 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2009, in den Verfahren
Staatssecretaris van Justitie
gegen
F. Toprak (C-300/09),
I. Oguz (C-301/09)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Rosas, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und B. Koopman als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und R. Holdgaard als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Rozet und M. van Beek als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssachen zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685, im Folgenden: Assoziierungsabkommen) geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Toprak in der Rechtssache C-300/09 und Herrn Oguz in der Rechtssache C-301/09 einerseits und dem Staatssecretaris van Justitie (Staatssekretär für Justiz) andererseits wegen dessen Weigerung, ihre befristete Aufenthaltserlaubnis zu ändern.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Assoziierungsabkommen
Rz. 3
Gemäß seinem Art. 2 Abs. 1 ist Ziel des Assoziierungsabkommens, durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, u. a. im Bereich der Arbeitskräfte, zu fördern, um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu bessern und später den Beitritt der Republik Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern.
Beschluss Nr. 1/80
Rz. 4
Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:
„Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten B...