Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleiches Entgelt für Männer und Frauen. Betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit. Ausschluss teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vom Anschluß an ein betriebliches System, das den Bezug einer zusätzlichen Altersrente ermöglicht. Voraussetzungen für den Anschluss an ein betriebliches Zusatzversorgungssystem und die Gewährung einer entsprechenden Rente. Nationale Vorschriften, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer unter Umständen einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluss an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben. Zeitliche Beschränkung der Wirkungen von Art. 119 EGV
Normenkette
EGV Art. 177, 119; GG Art. 3; BGB § 612 Abs. 3; BeschFG § 2 Abs. 1
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
1. Die sich aus dem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II) ergebende zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) zu berufen, steht nationalen Vorschriften, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben, nicht entgegen.
2. Für die Beantwortung der ersten Frage spielt es keine Rolle, daß die einschlägigen nationalen Vorschriften die Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und nicht aufgrund ihres Geschlechts untersagen.
Gründe
1.
Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mit zwei Beschlüssen vom 12. Dezember 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 1996, in beiden Rechtssachen gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) sowie des dem EG-Vertrag beigefügten Protokolls zu Artikel 119 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: Protokoll) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Deutsche Telekom AG (im folgenden: Beklagte), zuvor Deutsche Bundespost Telekom, und Agnes Vick (C-234/96) sowie Ute Conze (C-235/96) (im folgenden: Klägerinnen) über die Voraussetzungen für den Anschluß an ein betriebliches Zusatzversorgungssystem und die Gewährung einer entsprechenden Rente.
Das nationale Recht
3.
Artikel 3 Absätze 1 bis 3 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
4.
Durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. August 1980 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wurde in § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuchs folgender Absatz 3 angefügt:
Bei einem Arbeitsverhältnis darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers eine geringere Vergütung vereinbart werden als bei einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts. Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers besondere Schutzvorschriften gelten …
5.
1985 wurde das Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (BeschFG) erlassen, dessen §§ 2 bis 6 die Teilzeitarbeitregeln. Nach § 2 Absatz 1 darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach § 6 kann jedoch von den Vorschriften des betreffenden Abschnitts auch zuungunsten des Arbeitnehmers durch Tarifvertrag abgewichen werden.
6.
Nach § 24 des Tarifvertrags für Arbeiter der Deutschen Bundespost sind Arbeiter bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) nach Maßgabe des Tarifvertrags über die Versorgung der Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost (im folgenden: Versorgungstarifvertrag) in seiner jeweils geltenden Fassung zu versichern.
7.
Bis zum 31. Dezember 1987 bestimmte § 3 des Versorgungstarifvertrags:
Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn … seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden reg...