Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Öffentlicher Dienst. Interne Untersuchung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF). Übermittlung von Informationen durch das OLAF an nationale Justizbehörden. Strafanzeige durch die Europäische Kommission. Begriffe ‚mit Namen genannter’ und ‚persönlich implizierter’ Beamter. Fehlende Unterrichtung des Betroffenen. Recht der Kommission, vor Abschluss der Untersuchung des OLAF eine Strafanzeige bei den nationalen Justizbehörden zu erstatten. Schadensersatzklage
Beteiligte
Kommission/ De Esteban Alonso |
Fernando De Esteban Alonso |
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 11. Juni 2019, De Esteban Alonso/Kommission (T-138/18, EU:T:2019:398), wird aufgehoben.
2. Die Klage in der Rechtssache T-138/18 wird abgewiesen.
3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten sowohl des Verfahrens im ersten Rechtszug als auch des Rechtsmittelverfahrens.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 1. August 2019,
Europäische Kommission, vertreten durch B. Mongin und J. Baquero Cruz als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Fernando De Esteban Alonso, wohnhaft in Saint-Martin-de-Seignanx (Frankreich), Prozessbevollmächtigter: C. Huglo, avocat,
Kläger im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot (Berichterstatter), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Januar 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 11. Juni 2019, De Esteban Alonso/Kommission (T-138/18, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2019:398), mit dem dieses sie verurteilt hat, an Herrn Fernando De Esteban Alonso 62 000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens zu zahlen, den er aufgrund rechtswidriger Verhaltensweisen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und der Kommission erlitten haben soll.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Das mit dem Beschluss 1999/352/EG, EGKS, Euratom der Kommission vom 28. April 1999 (ABl. 1999, L 136, S. 20) errichtete Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) ist gemäß Art. 2 dieses Beschlusses u. a. mit der Durchführung von Verwaltungsuntersuchungen innerhalb der Organe beauftragt, die dazu dienen, Betrug, Korruption und sonstige rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union zu bekämpfen und schwerwiegende Handlungen im Zusammenhang mit der Ausübung der beruflichen Tätigkeiten aufzudecken, die eine Verletzung der Verpflichtungen der Beamten und Bediensteten der Union darstellen können, die disziplinarrechtlich und gegebenenfalls strafrechtlich geahndet werden kann.
Die Verordnung (EG) Nr. 1073/1999
Rz. 3
Die Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 1) regelte die Kontrollen, Überprüfungen und sonstigen Maßnahmen, die die Bediensteten des OLAF in Ausübung ihrer Befugnisse durchführten. Die Untersuchungen des OLAF sind entweder „externe” Untersuchungen, die außerhalb der Unionsorgane, oder „interne” Untersuchungen, die innerhalb dieser Organe durchgeführt werden. Diese zeitlich auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbare Verordnung wurde durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des OLAF (ABl. 2013, L 248, S. 1) aufgehoben und ersetzt.
Rz. 4
Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1073/1999 lautete:
„Bei diesen Untersuchungen, die gemäß dem Vertrag und insbesondere dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften und unter Wahrung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften … durchzuführen sind, müssen die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in vollem Umfang gewahrt bleiben; dies gilt insbesondere für den Billigkeitsgrundsatz, das Recht der Beteiligten, zu den sie betreffenden Sachverhalten Stellung zu nehmen, und den Grundsatz, dass sich die Schlussfolgerungen aus einer Untersuchung nur auf beweiskräftige Tatsachen gründen dürfen. Zu diesem Zweck müssen die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen die Bedingungen und Modalitäten für die Durchführung der internen Untersuchungen festlegen. Die Rechte und Pflichten der Beamten und sonstigen Bediensteten im Zusammenhang mit internen Untersuchungen sind folglich im Statut festzuschreiben.”
Rz. 5
Art. 4 („Interne Untersuchungen”) dieser Verordnung sah vor...