Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Frosinone - Italien. Sozialpolitik. Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Richtlinie 80/987/EWG. Haftung des Mitgliedstaats wegen verspäteter Umsetzung einer Richtlinie. Angemessene Wiedergutmachung. Gemeinschaftsrecht. Dem einzelnen verliehene Rechte. Verstoß eines Mitgliedstaats gegen die Verpflichtung zur Umsetzung einer Richtlinie. Pflicht zum Ersatz des dem einzelnen entstandenen Schadens. Modalitäten der Wiedergutmachung. Anwendung des nationalen Rechts. Ausschlußfrist. Zulässigkeit. Voraussetzungen. Beachtung des Grundsatzes der Effektivität des Gemeinschaftsrechts. Beachtung des Grundsatzes der Gleichwertigkeit der Voraussetzungen des Schadensersatzes mit denjenigen ähnlicher Rechtsbehelfe innerstaatlicher Art
Leitsatz (amtlich)
Es vestösst nicht gegen das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand, wenn ein Mitgliedstaat für die Erhebung einer Klage auf Ersatz des durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers entstandenen Schadens eine Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Umsetzung in sein nationales Recht vorschreibt, sofern diese Verfahrensvorschrift nicht weniger günstig ist als Vorschriften, die für ähnliche Klagen innerstaatlicher Art gelten.
Die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlußfristen ist, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist, nämlich grundsätzlich mit dem Erfordernis vereinbar, daß die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten Voraussetzungen insbesondere in bezug auf die Frist nicht so ausgestaltet sein dürfen, daß sie es praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität), und die fragliche Frist, die nicht nur die Begünstigten in die Lage versetzt, ihre Rechte in vollem Umfang zu erkennen, sondern auch die Voraussetzungen für den Ersatz des durch die verspätete Umsetzung entstandenen Schadens genau angibt, gestaltet die Einreichung der Schadensersatzklage nicht besonders schwierig und macht sie schon gar nicht in der Praxis unmöglich.
Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die streitige Frist auch den Grundsatz wahrt, daß die im nationalen Recht festgelegten Voraussetzungen für den Ersatz der Schäden, die den Bürgern durch einem Mitgliedstaat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit). Diese Gerichte dürfen den Umstand berücksichtigen, daß Ansprüche, die im Rahmen der Durchführung der Richtlinie einerseits, und solche, die im Rahmen der Entschädigungsregelung andererseits erhoben werden, sich hinsichtlich ihres Gegenstands unterscheiden, und es daher fehl am Platze ist, ihre Verfahrensmodalitäten miteinander zu vergleichen. Falls die nationale zivilrechtliche Regelung der ausservertraglichen Haftung keine Klage gegen öffentliche Hoheitsträger wegen eines rechtswidrigen Verhaltens ermöglicht, das ihnen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zuzurechnen ist, und falls das nationale Gericht keine der streitigen Ausschlußfrist vergleichbaren Voraussetzungen für ähnliche Rechtsbehelfe innerstaatlicher Art finden sollte, müsste festgestellt werden, daß weder der Grundsatz der Gleichwertigkeit noch der Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts der streitigen Ausschlußfrist entgegenstehen.
Normenkette
Richtlinie 80/987 des Rates
Beteiligte
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) |
Gründe
1. Die Pretura circondariale Frosinone hat mit Beschluß vom 27. Juni 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 5 EG-Vertrag und des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden, die dem Bürger durch einen dem Staat zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und dem Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) über den Ersatz des Schadens, der der Klägerin durch die verspätete Umsetzung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23; im folgenden: Richtlinie) entstanden ist.
3. Die Richtlinie soll den Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers unbeschadet günstigerer Bestimmungen der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene einen Mindestschutz gewährleisten. Zu diesem Zweck sieht sie u. a. spezielle Garantien für die Befriedigung nichterfüllter Ansprüche der Arbeitnehmer auf das Arbeitsen...