Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Assoziierungsabkommen -Türkei. Beschluss Nr. 1/80. Stillhalteklausel. Familienzusammenführung von Ehegatten. Neue Beschränkung. Zwingender Grund des Allgemeininteresses. Erfolgreiche Integration. Wirksame Steuerung der Migrationsströme. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
EWG Art. 13
Beteiligte
Udlændinge- og Integrationsministeriet |
Tenor
Art. 13 des vom Assoziationsrat, der durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet wurde, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits sowie den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, erlassenen Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass eine nationale Maßnahme, die die Familienzusammenführung eines türkischen Arbeitnehmers, der sich rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält, und seines Ehegatten an die Voraussetzung knüpft, dass die Bindungen der Ehegatten zu diesem Mitgliedstaat enger sind als die zu einem Drittstaat, eine „neue Beschränkung” im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Eine solche Beschränkung ist nicht gerechtfertigt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Landgericht der Region Ost, Dänemark) mit Entscheidung vom 24. Januar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2018, in dem Verfahren
A
gegen
Udlændinge- og Integrationsministeriet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und M. Safjan,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von A, vertreten durch T. Ryhl und C. Friis Bach Ryhl, advokater,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren und M. Wolff als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard, advokat,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Van Hoof, D. Martin und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. März 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3685, im Folgenden: Assoziierungsabkommen) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A und dem Udlændinge- og Integrationsministerium (Ausländer- und Integrationsministerium, Dänemark), vormals Ministerium for Flygtninge, Indvandrere og Integration (Ministerium für Flüchtlinge, Einwanderer und Integration) über dessen Weigerung, A zum Zweck der Familienzusammenführung eine Aufenthaltserlaubnis in Dänemark zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Assoziierungsabkommen
Rz. 3
Nach Art. 2 Abs. 1 des Assoziierungsabkommens hat dieses zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, dass hierbei der beschleunigte Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstands und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes gewährleistet werden.
Rz. 4
In Art. 12 des Assoziierungsabkommens heißt es, dass „[d]ie Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln [39, 40 und 41 AEUV] leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen”.
Beschluss Nr. 1/80
Rz. 5
Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.”
Rz. 6
Art. 14 dieses Beschlusses lautet:
„(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zw...