Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Niederlassungsfreiheit. Notare. Staatsangehörigkeitsvoraussetzung. Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt
Normenkette
AEUV Art. 49, 51
Beteiligte
Tenor
1. Die Republik Lettland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV verstoßen, dass sie für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat.
2. Die Republik Lettland trägt die Kosten.
3. Die Tschechische Republik trägt ihre eigenen Kosten.
4. Ungarn trägt seine eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 31. März 2014,
Europäische Kommission, vertreten durch I. Rubene und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Republik Lettland, vertreten durch D. Pelše, I. Kalniņš und K. Freimanis als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch:
Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
Ungarn, vertreten durch M. Tátrai und M. Fehér als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter) und J. L. da Cruz Vilaça,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Lettland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 49 AEUV und 51 AEUV verstoßen hat, dass sie für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat.
Rechtlicher Rahmen
Allgemeine Ausgestaltung des Notarberufs in Lettland
Rz. 2
Die Ausgestaltung des Notariats ist im Gesetz über das Notariat (Notariata likums) vom 9. Juli 1993 (Latvijas Vēstnesis, 1993, Nr. 48, im Folgenden: Notariatsgesetz) geregelt.
Rz. 3
In Art. 1 Abs. 2 dieses Gesetzes wird ausgeführt, dass es die berufliche und unternehmerische Tätigkeit der Notare regelt. Diese üben nach Art. 238 desselben Gesetzes einen freien Beruf aus.
Rz. 4
Nach Art. 3 dieses Gesetzes gelten Notare als öffentliche Amtsträger. Sie unterliegen gemäß Art. 5 dieses Gesetzes nur dem Gesetz und üben ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit aus.
Rz. 5
Nach Art. 8 Abs. 1 des Notariatsgesetzes erfolgt die Ernennung, Versetzung und Entlassung eines Notars durch den Justizminister.
Rz. 6
In Bezug auf die Voraussetzungen für den Zugang zum Amt des Notars heißt es in Art. 9 Abs. 1 dieses Gesetzes, dass „nur Personen, die Staatsangehörige der Republik Lettland sind, Notare sein können”.
Rz. 7
Nach Art. 38 Abs. 1 des Notariatsgesetzes übt der Notar seine Aufgaben innerhalb des Gerichtsbezirks seines Amtssitzes aus. Gemäß Art. 39 Abs. 1 dieses Gesetzes kann ein Notar Personen auf Anforderung seine Unterstützung gewähren, selbst wenn ihr Wohnsitz oder ihr Eigentum, auf die sich die notarielle Urkunde bezieht, außerhalb dieses Bezirks liegen.
Rz. 8
Nach Art. 39 Abs. 2 dieses Gesetzes darf ein Notar die Ausübung seiner Tätigkeiten nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen verweigern. Allerdings ist er nach Art. 40 dieses Gesetzes verpflichtet, seine Leistungen zu verweigern, wenn seine Mitwirkung erforderlich ist, um an Tätigkeiten mit offensichtlich rechts- und sittenwidrigem Zweck teilzunehmen.
Tätigkeiten des Notars in Lettland
Rz. 9
Im Rahmen der verschiedenen Tätigkeiten, die der Notar in der lettischen Rechtsordnung ausübt, besteht seine Hauptaufgabe darin, authentische Urkunden zu erstellen.
Rz. 10
Art. 82.¹ des Notariatsgesetzes sieht vor, dass „der Notar bei der Beurkundung einer Willensäußerung eine authentische Urkunde zu erstellen hat”. Art. 87.1 dieses Gesetzes bestimmt u. a., dass der Notar verpflichtet ist, den Willen der Parteien in der Urkunde und dem Text der Vereinbarung festzustellen und sie über mögliche rechtliche Folgen dieser Vereinbarung zu informieren.
Rz. 11
Hinsichtlich der Vollstreckung notarieller Urkunden heißt es in Art. 107.4 dieses Gesetzes, dass ein Gläubiger einem Notar eine notarielle Urkunde im Hinblick auf die Zwangsvollstreckung einer Verbindlichkeit innerhalb einer Frist von einem Jahr ab dem Fälligkeitsdatum der Verbindlichkeit vorlegen kann. Ist nach Ansicht des Schuldners die Forderung des Gläubigers nicht begründet, so kann er nach Art. 107.9 desselben Gesetzes gemäß Art. 406 der Zivilprozessordnung (Latvijas Vēstnesis, 1998, Nr. 326/330) Klage erheben.
Rz. 12
Nach den Art. 108 bis 139 dieses Gesetzes beglaubigt der Notar u. a. Unterschriften, Abschriften und Übersetzungen und bescheinigt das Vorliegen bestimmter Tatsachen, wie den Umstand, dass eine Person am Leben ist.
Rz. 13
Der Notar verwahrt Gelder, Wertpapiere und Urkunden gemäß den Art. 140 bis 145 des Notariatsgesetzes.
Rz. 14
I...