Entscheidungsstichwort (Thema)
Fusion, Einbringung von Unternehmensteilen und Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, Fusion zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns, Übertragbarkeit steuerlicher Verluste
Leitsatz (amtlich)
Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass im Falle einer Fusion zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns davon ausgegangen werden kann, dass dieser Vorgang nicht auf „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ im Sinne dieser Richtlinie beruht, wenn die aufgenommene Gesellschaft keine Tätigkeit entfaltet, keine Beteiligung hält und der aufnehmenden Gesellschaft nur hohe Verluste unklaren Ursprungs überträgt, auch wenn sich dieser Vorgang für den Konzern wegen der Einsparung bei den Strukturkosten positiv auswirkt. Das vorlegende Gericht wird in Ansehung sämtlicher Merkmale des von ihm zu entscheidenden Rechtsstreits zu prüfen haben, ob die Anhaltspunkte, die eine Vermutung der Steuerhinterziehung oder -umgehung im Sinne dieser Bestimmung begründen, im Rahmen dieses Rechtsstreits vorliegen.
Normenkette
EWGRL 434/90 Art. 11 Abs. 1
Beteiligte
Foggia - Sociedade Gestora de Participações Sociais SA |
Secretário de Estado dos Assuntos Fiscais |
Verfahrensgang
Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) (Urteil vom 03.02.2010; ABl. EU 2010, Nr. C 134/25) |
Tatbestand
„Rechtsangleichung ‐ Richtlinie 90/434/EWG ‐ Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen ‐ Art. 11 Abs. 1 Buchst. a ‐ Vernünftige wirtschaftliche Gründe ‐ Umstrukturierung oder Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften ‐ Begriffe“
In der Rechtssache C-126/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) mit Entscheidung vom 3. Februar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 2010, in dem Verfahren
Foggia ‐ Sociedade Gestora de Participações Sociais SA
gegen
Secretário de Estado dos Assuntos Fiscais,
Beteiligter:
Ministério Público,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie des Richters J.-J. Kasel (Berichterstatter) und der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Foggia ‐ Sociedade Gestora de Participações Sociais SA, vertreten durch F. Castro Silva, advogado,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Ree als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch F. Penlington als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Foggia ‐ Sociedade Gestora de Participações Sociais SA (im Folgenden: Foggia ‐ SGPS) und dem Secretário de Estado dos Assuntos Fiscais (Staatssekretär für Steuerangelegenheiten, im Folgenden: Secretário de Estado) wegen dessen Entscheidung, Foggia ‐ SGPS nach einer Fusion von Unternehmen, die zum selben Konzern gehören, die Übertragung von steuerlichen Verlusten zu versagen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 90/434 heißt es: „Wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensanteilen oder ein Austausch von Anteilen als Beweggrund die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat …, sollten die Mitgliedstaaten die Anwendung dieser Richtlinie versagen können.“
Rz. 4
Art. 6 der Richtlinie 90/434, der zu Titel II „Regeln für Fusionen, Spaltungen und den Austausch von Anteilen“ gehört, bestimmt:
„Wenden die Mitgliedstaaten für den Fall, dass die in Artikel 1 genannten Vorgänge zwischen Gesellschaften des Staates der einbringenden Gesellschaft erfolgen, Vorschriften an, die die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die übernehmende Ge...