Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Aufträge. Richtlinie 2004/17/EG. Art. 1 Abs. 3 Buchst. b. Richtlinie 92/13/EWG. Art. 2d Abs. 1 Buchst. b. Begriff der ‚Dienstleistungskonzession’. Dienstleistungen des öffentlichen Busverkehrs. Recht zum Betreiben eines Dienstes und Zahlung eines Ausgleichs für Verluste an den Diensterbringer. Infolge der nationalen Rechtsvorschriften und des Vertrags begrenztes Betriebsrisiko. Vergabenachprüfungsverfahren. Unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG auf vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66/EG geschlossene Verträge
Beteiligte
Latgales plānošanas reǵions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome |
Tenor
1. Die Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste ist dahin auszulegen, dass ein „Dienstleistungsauftrag” im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie ein Vertrag ist, bei dem der Auftragnehmer nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und den Vertragsbestimmungen, die die Dienstleistungserbringung regeln, keinen wesentlichen Teil des auf dem öffentlichen Auftraggeber lastenden Risikos übernimmt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorgang bei Berücksichtigung seiner gesamten Merkmale als Dienstleistungskonzession oder öffentlicher Dienstleistungsauftrag einzustufen ist.
2. Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung findet auf öffentliche Aufträge, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 vergeben wurden, keine Anwendung.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Senāts (Lettland) mit Entscheidung vom 2. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 2010, in dem Verfahren
Norma-A SIA,
Dekom SIA
gegen
Latgales plānošanas reǵions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas, A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Norma-A SIA, vertreten durch L. Krastiņa und I. Azanda, advokāte,
- der Latgales plānošanas reǵions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome, vertreten durch J. Pļuta,
- der lettischen Regierung, vertreten durch M. Borkoveca und K. Krasovska als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Zadra und A. Sauka als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. L 134, S. 1) sowie von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 76, S. 14) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/13).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Norma-A SIA und der Dekom SIA (im Folgenden: Klägerinnen) einerseits und dem Latgales plānošanas reǵions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome (im Folgenden: Beklagter) wegen der Vergabe der „Konzession” für öffentliche Busverkehrsleistungen in der Stadt und im Kreis Ludza an die Ludzas autotransporta uznemums SIA.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 2004/17 sieht in seinem Abs. 2 Buchst. a und d sowie in seinem Abs. 3 Buchst. b vor:
„(2) a) ‚Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge’ sind zwischen einem oder mehreren der in Artikel 2 Absatz 2 aufgeführten Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmern, Liefer...