Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Begriffe ‚Staat, in dem der Schaden eintritt’, ‚Schaden’ und ‚indirekte Schadensfolgen einer unerlaubten Handlung’. Vom Familienangehörigen eines infolge eines Verkehrsunfalls Verstorbenen persönlich erlittene Schäden. Anzuwendendes Recht
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 864/2007 Art. 4 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II”) ist für die Bestimmung des auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus einem Verkehrsunfall anzuwendenden Rechts dahin auszulegen, dass Schäden im Zusammenhang mit dem Tod einer Person bei einem solchen Unfall im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnhafte nahe Verwandte dieser Person erlitten haben, als „indirekte Schadensfolgen” dieses Unfalls im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Trieste (Gericht Triest, Italien) mit Entscheidung vom 10. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juli 2014, in dem Verfahren
Florin Lazar
gegen
Allianz SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von L. Lazar und G. Chiturlas, vertreten durch M. Bonito, avvocato,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. Fonseca Santos als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Cappelletti und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. September 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II”) (ABl. L 199, S. 40, im Folgenden: Rom-II-Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem in Rumänien wohnhaften Herrn Lazar und der italienischen Versicherungsgesellschaft Allianz SpA wegen des Ersatzes von Vermögens- und Nichtvermögensschäden, die Herrn Lazar durch den Tod seiner Tochter entstanden sind, die bei einem Verkehrsunfall in Italien ums Leben gekommen ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rom-II-Verordnung
Rz. 3
Im siebten Erwägungsgrund der Rom-II-Verordnung heißt es:
„Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [(ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel-I-Verordnung)] und den Instrumenten, die das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zum Gegenstand haben, in Einklang stehen.”
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 16 und 17 der Verordnung lauten:
„(16) Einheitliche Bestimmungen sollten die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen verbessern und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Personen, deren Haftung geltend gemacht wird, und Geschädigten gewährleisten. Die Anknüpfung an den Staat, in dem der Schaden selbst eingetreten ist (lex loci damni), schafft einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und der Person, die geschädigt wurde, und entspricht der modernen Konzeption der zivilrechtlichen Haftung und der Entwicklung der Gefährdungshaftung.
(17)
Das anzuwendende Recht sollte das Recht des Staates sein, in dem der Schaden eintritt, und zwar unabhängig von dem Staat oder den Staaten, in dem bzw. denen die indirekten Folgen auftreten könnten. Daher sollte bei Personen- oder Sachschäden der Staat, in dem der Schaden eintritt, der Staat sein, in dem die Verletzung erlitten beziehungsweise die Sache beschädigt wurde.”
Rz. 5
Art. 2 („Außervertragliche Schuldverhältnisse”) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:
„Im Sinne dieser Verordnung umfasst der Begriff des Schadens sämtliche Folgen einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag (‚Negotiorum gestio’) oder eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (‚Culpa in contrahendo’).”
Rz. 6
Art. 4 („Allgemeine Kollisionsnorm”) in Kapitel II („Unerlaubte Handlungen”) der Rom-II-Verordnung sieht vor:
„(1) Sow...