Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und freier Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung). Ausdruck ‚Verantwortlicher‘. Amtsblatt eines Mitgliedstaats. Pflicht zur unveränderten Veröffentlichung gesellschaftsrechtlicher Akte, die von Gesellschaften oder deren gesetzlichen Vertretern erstellt wurden. Aufeinanderfolgende Verarbeitung von in solchen Akten enthaltenen personenbezogenen Daten durch mehrere Personen oder unterschiedliche Einrichtungen. Festlegung der Zuständigkeiten
Normenkette
EUVO 679/2016 Art. 4 Nr. 7, Art. 5 Abs. 2
Beteiligte
Belgischer Staat (Données traitées par un journal officiel) |
Autorité de protection des données |
Tenor
1.Art. 4 Nr. 7 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
ist dahin auszulegen, dass
die für das Amtsblatt eines Mitgliedstaats zuständige Einrichtung oder Stelle, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates u. a. verpflichtet ist, Rechtsakte und amtliche Dokumente unverändert zu veröffentlichen, die von Dritten in eigener Verantwortung unter Einhaltung der geltenden Vorschriften erstellt wurden und anschließend bei einer Justizbehörde, die sie der Einrichtung oder Stelle zum Zweck der Veröffentlichung übermittelt, hinterlegt wurden, trotz fehlender Rechtspersönlichkeit als für die Verarbeitung der in diesen Rechtsakten und Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten „Verantwortlicher“ eingestuft werden kann, wenn die Zwecke und Mittel der durch das Amtsblatt vorgenommenen Verarbeitung personenbezogener Daten durch das betreffende nationale Recht vorgegeben sind.
2.Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 7 und Art. 26 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
die für das Amtsblatt eines Mitgliedstaats zuständige Einrichtung oder Stelle, die als „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO eingestuft wird, in Bezug auf die von ihr nach nationalem Recht vorzunehmenden Verarbeitungen personenbezogener Daten für die Einhaltung der in Art. 5 Abs. 1 DSGVO genannten Grundsätze allein verantwortlich ist, es sei denn, aus dem nationalen Recht ergibt sich in Bezug auf diese Verarbeitungen eine gemeinsame Verantwortlichkeit mit anderen Stellen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-231/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Bruxelles (Appellationshof Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 23. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2022, in dem Verfahren
État belge
gegen
Autorité de protection des données,
Beteiligter:
LM,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. März 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Autorité de protection des données, vertreten durch F. Biebuyck, P. Van Muylder, Avocates, und E. Kairis, Advocaat,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin, J.-C. Halleux und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von S. Kaisergruber und P. Schaffner, Avocats,
- – der ungarischen Regierung, vertreten durch Zs. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, H. Kranenborg und A.-C. Simon als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Juni 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Nr. 7 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, im Folgenden: DSGVO).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem belgischen Staat und der in Belgien gemäß Art. 51 DSGVO eingerichteten Aufsichtsbehörde, der Autorité de protection des données (im Folgenden: Datenschutzbehörde) (Belgien), wegen eines Beschlusses, mit dem die Datenschutzbehörde anordnete, dass die Verwaltungsbehörde desMoniteur belge– des Amtsblatts, das in Belgien die Erstellung und Verbreitung eines breiten Spektrums amtlicher und für die Öffentlichkeit bestimmter Veröffentlichungen in Papierform und auf elektronischem Weg gewährleistet – dem ausgeübten Recht einer natürlichen Person auf Löschung mehrerer personenbezogener Daten, die in einem in diesem Amtsblatt veröffentlichten Rechtsakt enthalten waren, Folge zu leisten habe.
Rechtliche...