Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Arbeitszeitgestaltung. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Wöchentliche Höchstarbeitszeit. Bezugszeitraum. Gleitender oder fester Charakter. Abweichung. Polizeibeamte
Normenkette
Richtlinie 2003/88/EG
Beteiligte
Syndicat des cadres de la sécurité intérieure |
Syndicat des cadres de la sécurité intérieure |
Ministre de l'Action et des Comptes publics |
Tenor
Art. 6 Buchst. b, Art. 16 Buchst. b und Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die für die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit Bezugszeiträume mit Beginn und Ende an festen Kalendertagen vorsieht, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung Mechanismen enthält, die gewährleisten können, dass die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden während jedes auf zwei aufeinanderfolgende feste Bezugszeiträume verteilten Sechsmonatszeitraums eingehalten wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 4. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 12. April 2018, in dem Verfahren
Syndicat des cadres de la sécurité intérieure
gegen
Premier ministre,
Ministre de l'Intérieur,
Ministre de l'Action et des Comptes publics
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter T. von Danwitz, E. Levits, C. Vajda (Berichterstatter) und P. G. Xuereb,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Syndicat des cadres de la sécurité intérieure, vertreten durch P. Gernez, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme, A.-L. Desjonquères und E. de Moustier als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Valero und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Februar 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Buchst. b, Art. 16 Buchst. b, Art. 17 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Syndicat des cadres de la sécurité intérieure (Gewerkschaft der Führungskräfte der inneren Sicherheit, im Folgenden: SCSI) einerseits und dem Premier ministre (Premierminister, Frankreich), dem Ministre de l'Intérieur (Innenminister, Frankreich) und dem Ministre de l'Action et des Comptes publics (Minister für staatliches Handeln und öffentliche Haushalte, Frankreich) andererseits wegen des Bezugszeitraums zur Berechnung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit für aktive Beamte im Dienst der Police Nationale.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 89/391/EWG
Rz. 3
Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1) bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).
(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.
In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet [sind].”
Richtlinie 2003/88
Rz. 4
Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 lautet:
„In Anbetracht der Fragen, die sich aufgrund der Arbeitszeitgestaltung im Unternehmen stellen können, ist eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung einzelner Bestimmungen dieser Richtlinie vorzusehen, wobei jedoch die Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu beachten sind.”
Rz. 5
Art. 1 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:
„…
(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind
a) die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie
b) bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.
(3) Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 f...