Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Hauptinsolvenzverfahren. Sekundärinsolvenzverfahren. Kompetenzkonflikt. Ausschließliche oder alternative Zuständigkeit. Bestimmung des anwendbaren Rechts. Bestimmung der Vermögensgegenstände des Schuldners, die in das Sekundärinsolvenzverfahren fallen. Bestimmung des Belegenheitsorts dieser Vermögensgegenstände. In einem Drittstaat belegene Vermögensgegenstände
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 Art. 2 Buchst. g, Art. 3 Abs. 2, Art. 27; Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Beteiligte
Comité d'entreprise de Nortel Networks u.a |
Comité d'entreprise de Nortel Networks SA u. a |
Christopher John Wilkinson Hill |
Tenor
Art. 3 Abs. 2 und Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren sind dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens alternativ zu den Gerichten des Mitgliedstaats der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständig sind, über die Bestimmung der in den Bereich der Wirkungen dieses Sekundärverfahrens fallenden Vermögensgegenstände des Schuldners zu entscheiden.
Die Bestimmung der in den Bereich der Wirkungen eines Sekundärinsolvenzverfahrens fallenden Vermögensgegenstände des Schuldners hat nach Maßgabe der Bestimmungen von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 1346/2000 zu erfolgen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de commerce de Versailles (Frankreich) mit Entscheidung vom 21. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 2013, in den Verfahren
Comité d'entreprise de Nortel Networks SA u. a.
gegen
Cosme Rogeau als gerichtlicher Liquidator im Sekundärinsolvenzverfahren gegen die Nortel Networks SA
und
Cosme Rogeau als gerichtlicher Liquidator im Sekundärinsolvenzverfahren gegen die Nortel Networks SA
gegen
Ian Robert Bloom,
Alan Michael Hudson,
Stephen John Harris,
Christopher John Wilkinson Hill
als gemeinsame Verwalter im Hauptinsolvenzverfahren gegen die Nortel Networks SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Comité d'entreprise de Nortel Networks SA u. a., vertreten durch R. Dammann und M. Boché-Robinet, avocats,
- von Rechtsanwalt Rogeau als gerichtlicher Liquidator im Sekundärinsolvenzverfahren gegen die Nortel Networks SA, vertreten durch A. Tchekhoff und E. Fabre, avocats,
- der Herren Bloom, Hudson, Harris und Wilkinson Hill als gemeinsame Verwalter im Hauptinsolvenzverfahren gegen die Nortel Networks SA, vertreten durch C. Dupoirier, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch F.-X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Christie als Bevollmächtigten im Beistand von B. Kennelly, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Januar 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. g, Art. 3 Abs. 2 und Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen zum einen eines Rechtsstreits zwischen dem Comité d'entreprise de Nortel Networks SA (im Folgenden: NNSA) u. a. und Rechtsanwalt Rogeau als gerichtlicher Liquidator in dem in Frankreich gegen NNSA eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren (im Folgenden: Sekundärverfahren) wegen einer Klage insbesondere auf Zahlung einer Entlassungsabfindung und zum anderen eines Rechtsstreits zwischen Rechtsanwalt Rogeau als gerichtlicher Liquidator im Sekundärverfahren und den Herren Bloom, Hudson, Harris und Wilkinson Hill als gemeinsame Verwalter (joint administrators, im Folgenden: gemeinsame Verwalter) in dem im Vereinigten Königreich gegen NNSA eröffneten Hauptinsolvenzverfahren (im Folgenden: Hauptverfahren) wegen Streitverkündung.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 1346/2000
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 6 und 23 der Verordnung Nr. 1346/2000 lauten:
„(6) Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grun...