Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Elektrizitätsbinnenmarkt. Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden. Nationale Rechtsvorschriften, mit denen die Befugnis zur Bestimmung des Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde vom Staatsoberhaupt auf die Regierung übertragen wird. Beteiligung der nationalen Ministerien an den Entgeltverfahren
Normenkette
Richtlinie 2009/72/EG Art. 35 Abs. 4-5
Beteiligte
Prezident Slovenskej republiky |
Prezident Slovenskej republiky |
Tenor
1. Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der die Regierung dieses Staates befugt ist, den Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde zu ernennen und zu entlassen, sofern alle in diesen Bestimmungen vorgesehenen Anforderungen erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
2. Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die zur Gewährleistung des Schutzes des öffentlichen Interesses die Beteiligung von Vertretern von Ministerien dieses Staates an bestimmten Entgeltverfahren vor der nationalen Regulierungsbehörde vorsieht, sofern die Unabhängigkeit dieser Behörde bei der Entscheidungsfindung gewahrt bleibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgericht der Slowakischen Republik), mit Entscheidung vom 23. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2019, in dem Verfahren
Prezident Slovenskej republiky,
Beteiligte:
Národná rada Slovenskej republiky,
Vláda Slovenskej republiky,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Prezident Slovenskej republiky, vertreten durch Z. Čaputová,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet, R. Lindenthal und A. Tokár als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines vom Prezident Slovenskej republiky (Präsident der Slowakischen Republik) eingeleiteten Verfahrens, das die Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften über die Ernennung und Entlassung des Präsidenten des Úrad pre reguláciu siet'ových odvetví (Regulierungsbehörde für Netzindustrien, Slowakei, im Folgenden: Regulierungsbehörde) mit der slowakischen Verfassung in Verbindung mit dem Unionsrecht sowie die Beteiligung von Vertretern nationaler Ministerien an Entgeltverfahren vor dieser Behörde betrifft.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 33 und 34 der Richtlinie 2009/72 heißt es:
„(33) Die Richtlinie 2003/54/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. 2003, L 176, S. 37)] verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Regulierungsbehörden mit spezifischen Zuständigkeiten. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Effektivität der Regulierung vielfach aufgrund mangelnder Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden von der Regierung sowie unzureichender Befugnisse und Ermessensfreiheit eingeschränkt wird. Daher hat der Europäische Rat die Kommission auf seiner Tagung vom 8. und 9. März 2007 aufgefordert, Legislativvorschläge auszuarbeiten, die eine weitere Harmonisierung der Befugnisse und eine Stärkung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden vorsehen. Diese nationalen Regulierungsbehörden sollten sowohl den Elektrizitäts- als auch den Gassektor abdecken können.
(34) Damit der Elektrizitätsbinnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann, müssen die Regulierungsbehörden Entscheidungen in allen relevanten Regulierungsangelegenheiten treffen können und völlig unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Interessen sein. Dies steht weder einer gerichtlichen Überprüfung, noch einer parlamentarischen Kontrolle nach dem Verfassungsrecht der Mi...