Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Krankentransporte. Nationale Regelung, nach der Krankentransporte in öffentliche Krankenhäuser vorrangig an Freiwilligenorganisationen vergeben werden, die die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen und registriert sind. Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. Öffentliche Aufträge. Gemischte Dienstleistungen im Sinne von Anhang II Teil A und Anhang II Teil B der Richtlinie 2004/18. Begriff ‚öffentliche Dienstleistungsaufträge’. Entgeltlichkeit. Gegenleistung in Form einer Erstattung der verauslagten Kosten
Normenkette
AEUV Art. 49; Richtlinie 2004/18/EG Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und d; AEUV Art. 56
Beteiligte
Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino” u.a |
Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino” |
Associazione nazionale pubblica assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Liguria |
San Lorenzo Soc. coop. Sociale |
Croce Verde Cogema cooperativa sociale Onlus |
Tenor
Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der die Erbringung von dringenden Krankentransport- und Notfallkrankentransportdiensten vorrangig und im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an die unter Vertrag genommenen Freiwilligenorganisationen zu vergeben ist, nicht entgegenstehen, soweit der rechtliche und vertragliche Rahmen, in dem diese Organisationen tätig sind, tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beiträgt, auf denen diese Regelung beruht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 25. Januar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2013, in dem Verfahren
Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino”,
Associazione nazionale pubblica assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Liguria,
Regione Liguria
gegen
San Lorenzo Soc. coop. Sociale,
Croce Verde Cogema cooperativa sociale Onlus,
Beteiligte:
Croce Rossa Italiana – Comitato regionale Liguria u. a.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhász und D. Šváby (Berichterstatter),
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Associazione nazionale pubblica assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Liguria, vertreten durch R. Damonte, avvocato,
- der Regione Liguria, vertreten durch B. Baroli, avvocatessa,
- der San Lorenzo Soc. coop. sociale und der Croce Verde Cogema cooperativa sociale Onlus, vertreten durch S. Betti, avvocato,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Pignataro, A. Tokár und A. Aresu als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. April 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV, 56 AEUV, 105 AEUV und 106 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits in einem Rechtsmittelverfahren zwischen der Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino” (im Folgenden: ASL Nr. 5), d. h. der für die Verwaltung des Gesundheitsdienstes zuständigen örtlichen Verwaltungsbehörde, der Associazione nazionale pubblica assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Liguria (Nationale Vereinigung für öffentliche Fürsorge – Regionalausschuss Ligurien) und der Regione Liguria einerseits sowie der San Lorenzo Soc. coop. sociale und der Croce Verde Cogema cooperativa sociale Onlus, d. h. Genossenschaften, die im Bereich des Krankentransports tätig sind, andererseits wegen mehrerer Entscheidungen über die regionale und lokale Organisation von dringenden Krankentransporten und Notfallkrankentransporten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABL. L 134, S. 114, Berichtigung in ABl. L 351, S. 44) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 (ABl. L 314, S. 64) geänderten Fassung enthält in ihrem Art. 1 Abs. 2 und 5 folgende Definitionen:
„(2) a) ‚Öffentliche Aufträge’ sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.
…
d)
‚Öffentliche Dienstleistungsaufträge’ sind öffentliche Aufträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Anhang II, die keine öffentlichen Bau- oder Lieferaufträge sind.
…
(5)
Eine ‚Rahmenvereinbarung’ ist ...