Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Wettbewerb. Missbrauch einer beherrschenden Stellung. Schienengüterverkehrsmarkt. Beschluss, mit dem ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV festgestellt wird. Zugang dritter Unternehmen zu den vom staatlichen Bahnunternehmen Litauens betriebenen Infrastrukturen. Entfernung eines Gleisabschnitts. Begriff ‚ Missbrauch’. Tatsächliche oder wahrscheinliche Verdrängung eines Wettbewerbers. Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch das Gericht. Herabsetzung der Geldbuß
Normenkette
AEUV Art. 102
Beteiligte
Lietuvos geležinkeliai/ Kommission |
Lietuvos geležinkeliai AB |
Tenor
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Lietuvos geležinkeliai AB trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten, die der Europäischen Kommission und der Orlen Lietuva AB entstanden sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 27. Januar 2021,
Lietuvos geležinkeliai AB mit Sitz in Vilnius (Litauen), vertreten durch Rechtsanwältin K. Apel sowie Rechtsanwälte W. Deselaers und P. Kirst,
Rechtsmittelführerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch A. Cleenewerck de Crayencour, A. Dawes, H. Leupold und G. Meessen als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
Orlen Lietuva AB mit Sitz in Mažeikiai (Litauen), vertreten durch C. Conte, Avvocato, und C. Thomas, Avocat,
Streithelferin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2022,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Lietuvos geležinkeliai AB (im Folgenden: LG) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 18. November 2020, Lietuvos geležinkeliai/Kommission (T-814/17, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2020:545), mit dem das Gericht zum einen ihre Klage abgewiesen hat, soweit sie auf die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2017) 6544 final der Kommission vom 2. Oktober 2017 in einem Verfahren nach Art. 102 AEUV (Sache AT.39813 – Baltic Rail) (im Folgenden: streitiger Beschluss) gerichtet war, und zum anderen den Betrag der gegen LG durch den Beschluss verhängten Geldbuße auf 20 068 650 Euro herabgesetzt hat.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung (EG) Nr. 1/2003
Rz. 2
In Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) heißt es:
„(2) Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig
a) gegen Artikel [101] oder Artikel [102 AEUV] verstoßen …
…
(3) Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen.”
Rz. 3
Art. 31 dieser Verordnung bestimmt:
„Bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung. Er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.”
Richtlinie 2001/14/EG
Rz. 4
Der fünfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. 2001, L 75, S. 29) lautet:
„Um Transparenz und einen nichtdiskriminierenden Zugang zu den Eisenbahnfahrwegen für alle Eisenbahnunternehmen sicherzustellen, sind alle für die Wahrnehmung der Zugangsrechte benötigten Informationen in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen zu veröffentlichen.”
Rz. 5
Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Eisenbahnunternehmen haben unter Ausschluss jeglicher Diskriminierung Anspruch auf das in Anhang II beschriebene Mindestzugangspaket sowie auf den dort beschriebenen Schienenzugang zu Serviceeinrichtungen. Die Erbringung der in Anhang II Nummer 2 genannten Leistungen erfolgt unter Ausschluss jeglicher Diskriminierung, wobei entsprechende Anträge von Eisenbahnunternehmen nur abgelehnt werden dürfen, wenn vertretbare Alternativen unter Marktbedingungen vorhanden sind. Falls die betreffenden Leistungen nicht von ein und demselben Betreiber der Infrastruktur angeboten werden, muss der Anbieter des ‚Hauptfahrwegs’ nach Kräften bestrebt sein, die Erbringung dieser Leistungen zu erleichtern.”
Rz. 6
In Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:
„Bei technisch bedingten oder unfallbedingten Störungen der...