Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinschaftsrecht. Missbräuchliche Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts. Nationale Rechtsvorschrift, die den Rechtsmißbrauch verbietet. Anwendung durch die nationalen Gerichte. Freizügigkeit. Niederlassungsfreiheit. Gesellschaften. Änderung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft. Nationale Regelung, die die Erhöhung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten durch Verwaltungsentscheidung vorsieht. Blockierung der Rechte aus der Richtlinie durch Rückgriff auf eine den Rechtsmißbrauch verbietende nationale Rechtsvorschrift (Richtlinie 77/91 des Rates, Artikel 25 Absatz 1 und 29 Absatz 1)
Leitsatz (amtlich)
3 Die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet. Es kann daher nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, dass nationale Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt wird. Jedoch darf die Anwendung einer solchen nationalen Rechtsvorschrift nicht die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Insbesondere können die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts nicht die Tragweite dieser Bestimmung verändern oder die mit ihr verfolgten Zwecke vereiteln.
4 Einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Gesellschaftsrechtsrichtlinie 77/91 beruft, kann nicht eine missbräuchliche Ausübung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechts zur Last gelegt werden, nur weil die von ihm bekämpfte Kapitalerhöhung durch Verwaltungsentscheidung angeblich die finanziellen Schwierigkeiten, die die betreffende Gesellschaft bedrohten, behoben und ihm eindeutige wirtschaftliche Vorteile verschafft hat oder weil er nicht von seinem in Artikel 29 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Bezugsrecht für die anlässlich der streitigen Kapitalerhöhung ausgegebenen neuen Aktien Gebrauch gemacht hat.
Zum einen gilt nämlich die Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung nach Artikel 25 Absatz 1 auch für den Fall, dass sich die betreffende Gesellschaft in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befindet. Zum anderen hätte die Ausübung des Bezugsrechts bedeutet, dass der Aktionär an der Durchführung der Entscheidung, das Kapital ohne Genehmigung durch die Hauptversammlung zu erhöhen, hätte mitwirken wollen; gegen diese Entscheidung wendet er sich jedoch gerade unter Berufung auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie.
Normenkette
Zweite Richtlinie 77/91/EWG Art. 25
Beteiligte
Organismos Oikonomikis Anasygkrotisis Epicheiriseon AE (OAE) |
Tenor
Nach dem Gemeinschaftsrecht ist es nicht unzulässig, dass die nationalen Gerichte eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts anwenden, um zu prüfen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt worden ist. Bei dieser Prüfung kann jedoch einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, beruft, nicht eine missbräuchliche Ausübung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechts zur Last gelegt werden, nur weil die von ihm bekämpfte Kapitalerhöhung angeblich die finanziellen Schwierigkeiten, die die betreffende Gesellschaft bedrohten, behoben und ihm eindeutige wirtschaftliche Vorteile verschafft hat oder weil er nicht von seinem in Artikel 29 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Bezugsrecht für die anlässlich der streitigen Kapitalerhöhung ausgegebenen neuen Aktien Gebrauch gemacht hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
C- 367/96
...
erlässt
der Gerichtshof
folgendes
Urteil:
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Efeteio Athen hat mit Urteil vom 6. Juni 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 25 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. 1977, L 26, S. 1; im folgenden: Zweite Richtlinie), und betreffend die mißbräuchliche Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Rz. 2
Diese Fragen ...