Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Klage wegen Verletzung eines europäischen Patents. Besondere und ausschließliche Zuständigkeiten. Art. 6 Nr. 1. Mehrere Beklagte. Art. 22 Nr. 4. Infragestellung der Gültigkeit des Patents. Art. 31. Einstweilige Maßnahmen
Beteiligte
Honeywell Fluorine Products Europe BV |
Tenor
1. Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass es zu widersprechenden Entscheidungen in getrennten Verfahren im Sinne dieser Vorschrift kommen kann, wenn jeder von zwei oder mehr Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten in einem vor einem Gericht eines dieser Mitgliedstaaten anhängigen Verfahren gesondert vorgeworfen wird, denselben nationalen Teil eines europäischen Patents, wie es in einem weiteren Mitgliedstaat gilt, durch die Vornahme vorbehaltener Handlungen in Bezug auf dasselbe Erzeugnis verletzt zu haben. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller sich aus den Akten ergebenden erheblichen Umstände zu prüfen, ob eine derartige Gefahr besteht.
2. Art. 22 Nr. 4 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Anwendung von Art. 31 dieser Verordnung nicht entgegensteht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank 's-Gravenhage (Niederlande) mit Entscheidung vom 22. Dezember 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2010, in dem Verfahren
Solvay SA
gegen
Honeywell Fluorine Products Europe BV,
Honeywell Belgium NV,
Honeywell Europe NV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und D. Šváby,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Solvay SA, vertreten durch W. A. Hoyng und F. W. E. Eijsvogels, advocaten,
- der Honeywell Fluorine Products Europe BV, der Honeywell Belgium NV und der Honeywell Europe NV, vertreten durch R. Ebbink und R. Hermans, advocaten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch S. Chala als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. März 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Nr. 1, Art. 22 Nr. 4 und Art. 31 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der in Belgien ansässigen Solvay SA (im Folgenden: Solvay) einerseits und der in den Niederlanden ansässigen Honeywell Fluorine Products Europe BV sowie der Honeywell Belgium NV und der Honeywell Europe NV, die beide in Belgien ansässig sind (im Folgenden zusammen: Honeywell-Gesellschaften), andererseits wegen einer geltend gemachten Verletzung verschiedener Teile eines europäischen Patents.
Rechtlicher Rahmen
Das Münchner Übereinkommen
Rz. 3
Durch das am 5. Oktober 1973 in München unterzeichnete Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (im Folgenden: Münchner Übereinkommen) wird, wie es in dessen Art. 1 heißt, ein „den Vertragsstaaten gemeinsames Recht für die Erteilung von Erfindungspatenten geschaffen”.
Rz. 4
Abgesehen von den gemeinsamen Regeln für die Erteilung unterliegt ein europäisches Patent weiterhin den nationalen Vorschriften jedes Vertragsstaats, für den es erteilt worden ist. Art. 2 Abs. 2 des Münchner Übereinkommens bestimmt insoweit:
„Das europäische Patent hat in jedem Vertragsstaat, für den es erteilt worden ist, dieselbe Wirkung und unterliegt denselben Vorschriften wie ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent …”
Rz. 5
Zu den Rechten des Inhabers eines europäischen Patents bestimmt Art. 64 Abs. 1 und 3 des Münchner Übereinkommens:
„(1) Das europäische Patent gewährt seinem Inhaber von dem Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf seine Erteilung an in jedem Vertragsstaat, für den es erteilt ist, … dieselben Rechte, die ihm ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent gewähren würde.
…
(3) Eine Verletzung des europäischen Patents wird nach n...