Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Anwendungsbereich. Begriff ‚Zivil- und Handelssachen’. Klage einer Behörde. Schadensersatz wegen Mitwirkung an einer Steuerhinterziehung durch einen Dritten, der nicht selbst Mehrwertsteuerpflichtiger ist
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 1 Abs. 1
Beteiligte
The Commissioners for HM Revenue and Customs |
Tenor
Der Begriff „Zivil- und Handelssachen” im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er die Klage einer Behörde eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige natürliche und juristische Personen auf Ersatz des Schadens erfasst, der durch eine haftungsauslösende unerlaubte Verabredung zur Hinterziehung von in dem erstgenannten Mitgliedstaat geschuldeter Mehrwertsteuer entstanden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 25. Januar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2012, in dem Verfahren
The Commissioners for Her Majesty's Revenue & Customs
gegen
Sunico ApS,
M & B Holding ApS,
Sunil Kumar Harwani
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter E. Jarašiūnas und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie des Richters C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Sunico ApS, der M & B Holding ApS und von Sunil Kumar Harwani, vertreten durch O. Spiermann, advokat,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Christie, S. Ossowski und S. Lee als Bevollmächtigte im Beistand von A. Henshaw, Barrister,
- der Schweizer Regierung, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und C. Barslev als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. April 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs (Steuer- und Zollverwaltung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, im Folgenden: Commissioners) und der Sunico ApS, der M & B Holding ApS sowie Herrn Harwani (im Folgenden zusammen: Sunico) über das Verfahren zur Bestätigung eines auf Antrag der Commissioners erlassenen Arrests in das auf dänischem Hoheitsgebiet befindliche Vermögen von Sunico.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 6 und 7 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:
„(6) Um den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu gewährleisten, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Gemeinschaftsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist.
(7) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung definiert deren sachlichen Anwendungsbereich wie folgt:
„Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.”
Abkommen EG-Dänemark
Rz. 5
Ziel des am 19. Oktober 2005 in Brüssel unterzeichneten Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 299, S. 62, im Folgenden: Abkommen EG-Dänemark), das mit dem Beschluss 2006/325/EG des Rates vom 27. April 2006 (ABl. L 120, S. 22) im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde, ist es, die Verordnung Nr. 44/2001 und ihre Durchführungsbestimmungen auf die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Dänemark anzuwenden. Es ist gemäß Art. 12 Abs. 2 des Abkommens EG-Dänemark am 1. Juli 2007 in Kraft getreten (ABl. 2007, L 94, S. 70).
Rz. 6
In der Präambel dieses Abkommens heißt es:
„…
In der Erwägung, d...