Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Aufträge. Einrichtung des öffentlichen Rechts'. Voraussetzung betreffend die Finanzierung der Tätigkeit, die Aufsicht über die Leitung oder die Aufsicht über die Tätigkeit durch den Staat, durch Gebietskörperschaften oder durch andere Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Ärztekammer. Gesetzlich vorgesehene Finanzierung durch Beiträge der Kammerangehörigen. Festlegung der Beitragshöhe durch die Kammerversammlung. Autonomie der Kammer bei der Festlegung von Umfang und Art der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben
Normenkette
Richtlinie 2004/18/EG Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c
Beteiligte
Ärztekammer Westfalen-Lippe |
Tenor
Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung wie eine berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts weder das Kriterium der überwiegenden Finanzierung durch die öffentlichen Stellen erfüllt, wenn sich diese Einrichtung überwiegend durch Beiträge ihrer Mitglieder finanziert, zu deren Festsetzung und Erhebung sie durch ein Gesetz ermächtigt wird, das nicht den Umfang und die Modalitäten der Tätigkeiten regelt, die sie im Rahmen der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben, die mit diesen Beiträgen finanziert werden sollen, ausübt, noch das Kriterium der Aufsicht öffentlicher Stellen über ihre Leitung allein deshalb erfüllt, weil die Entscheidung, mit der sie die Höhe der Beiträge festsetzt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Oktober 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2011, in dem Verfahren
IVD GmbH & Co. KG
gegen
Ärztekammer Westfalen-Lippe,
Beteiligte:
WWF Druck + Medien GmbH,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, D. Šváby (Berichterstatter) und C. Vajda,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der IVD GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt J. Eggers,
- der Ärztekammer Westfalen-Lippe, vertreten durch Rechtsanwälte S. Gesterkamp und T. Schneider-Lasogga,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und T. Müller als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers, A. Tokár und C. Zadra als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IVD GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVD) und der Ärztekammer Westfalen-Lippe (im Folgenden: Ärztekammer) über deren Entscheidung, einen Auftrag nach einem Ausschreibungsverfahren an ein anderes Unternehmen zu vergeben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/18 sieht vor:
„Als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts’ gilt jede Einrichtung, die
- zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,
- Rechtspersönlichkeit besitzt und
- überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.
Die nicht erschöpfenden Verzeichnisse der Einrichtungen und Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die die in Unterabsatz 2 Buchstaben a, b und c genannten Kriterien erfüllen, sind in Anhang III enthalten. …”
Rz. 4
Hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland sind in diesem Anhang unter den bundes-, landes- und gemeindeunmittelbaren Körperschaften die berufsständischen Vereinigungen und insbesondere die Ärztekammern aufgeführt (Teil III, 1.1, zweiter Gedankenstrich).
Deutsches Recht
Rz. 5
Nach § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 des Heilberufsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: HeilBerG NRW) hat die Ärztekammer u. a. die Aufgabe,
- „den öffentlichen Gesundheitsdienst und öffentlichen Veterinärdienst bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere ...