Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges Eigentum. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Rechtsschutz von Computerprogrammen. Weiterverkauf ‚benutzter’. lizenzierter Kopien von Computerprogrammen auf körperlichen Datenträgern, die keine Originale sind. Erschöpfung des Verbreitungsrechts. Ausschließliches Vervielfältigungsrecht
Normenkette
Richtlinie 91/250/EWG Art. 4 Buchst. a; EWGRL 250/91 Art. 4 Buchst. c, Art. 5 Abs. 1-2; EGRL 24/2009 Art. 4 Abs. 1; EGRL 24/ 2009 Art. 4 Abs. 2; EGRL 24/2009 Art. 5 Abs. 1-2
Beteiligte
Tenor
Art. 4 Buchst. a und c und Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen sind dahin auszulegen, dass der Ersterwerber der mit einer Lizenz zur unbefristeten Nutzung verbundenen Kopie eines Computerprogramms zwar berechtigt ist, die benutzte Kopie und seine Lizenz an einen Zweiterwerber zu verkaufen, doch darf er, wenn der körperliche Originaldatenträger der ihm ursprünglich gelieferten Kopie beschädigt oder zerstört wurde oder verloren gegangen ist, seine Sicherungskopie dieses Programms dem Zweiterwerber nicht ohne Zustimmung des Rechtsinhabers übergeben.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Rīgas apgabaltiesas Krimināllietu tiesu kolēǵija (Regionalgericht Riga, Strafkammer, Lettland) mit Entscheidung vom 18. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 13. April 2015, in dem Strafverfahren gegen
Aleksandrs Ranks,
Jurijs Vasiļevičs,
Beteiligte:
Finanšu un ekonomisko noziegumu izmeklēšanas prokuratūra,
Microsoft Corp.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras (Berichterstatter), J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ranks und Herrn Vasiļevičs, vertreten durch M. Krūmiņš, advokāts,
- der Microsoft Corp., vertreten durch I. Veikša, I. Krodere und N. Tuominen, advokātes,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und J. Treijs-Gigulis als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Varrone, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und A. Sauka als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Juni 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft formal die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und von Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 2009, L 111, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen von Strafverfahren, die von der Finanšu un ekonomisko noziegumu izmeklēšanas prokuratūra (Staatsanwaltschaft für die Ahndung von Finanz- und Wirtschaftsdelikten, Lettland) gegen Herrn Aleksandrs Ranks und Herrn Jurijs Vasiļevičs eingeleitet wurden. Sie werden wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung zum widerrechtlichen Verkauf urheberrechtlich geschützter Gegenstände, der vorsätzlichen widerrechtlichen Benutzung einer fremden Marke unter schwerwiegender Beeinträchtigung gesetzlich geschützter persönlicher Rechte und Interessen und der Ausübung einer nicht angemeldeten wirtschaftlichen Tätigkeit verfolgt, weil sie über einen Online-Marktplatz benutzte Kopien von Computerprogrammen auf Datenträgern, die keine Originale sind, verkauft haben sollen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2009/24
Rz. 3
Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen der Artikel 5 und 6 umfassen die Ausschließlichkeitsrechte des Rechtsinhabers im Sinne des Artikels 2 das Recht, folgende Handlungen vorzunehmen oder zu gestatten:
- die dauerhafte oder vorübergehende Vervielfältigung, ganz oder teilweise, eines Computerprogramms mit jedem Mittel und in jeder Form. Soweit das Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Computerprogramms eine Vervielfältigung erforderlich macht, bedürfen diese Handlungen der Zustimmung des Rechtsinhabers;
…
(2) Mit dem Erstverkauf einer Programmkopie in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung erschöpft sich in der Gemeinschaft das Recht auf die Verbreitung dieser Kopie; ausgenommen hiervon ist jedoch das Recht auf Kontrolle der Weitervermietung des Programms oder einer Kopie davon.”
Rz. 4
Art. 5 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) In Ermangelung spezifischer vertraglicher Bestimmungen bedürfen die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Handlungen nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn sie für eine bestimm...