Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 90/270/EWG über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten. Begriff des Arbeitnehmers. Untersuchung der Augen und des Sehvermögens. Begriff des Arbeitsplatzes im Sinne der Artikel 4 und 5. Umfang der in den Artikeln 4 und 5 aufgestellten Verpflichtungen. 1. Vorabentscheidungsverfahren. Anrufung des Gerichtshofes. Einzelstaatliches Gericht im Sinne des Artikels 177 des Vertrages. Begriff. Procura della Repubblica, die die Strafklage erhebt. Ausschluß. 2. Handlungen der Organe. Richtlinien. Durchführung durch die Mitgliedstaaten. Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Richtlinien zu gewährleisten. Pflichten der nationalen Gerichte. Grenzen. Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen. 3. Sozialpolitik. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Richtlinie 90/270 über die Arbeit an Bildschirmgeräten. Gewöhnliche Benutzung eines solchen Gerätes durch einen Arbeitnehmer bei einem nicht unwesentlichen Teil seiner normalen Arbeit. Begriff nicht festgelegt durch die Richtlinie. Ermessen der Mitgliedstaaten. Schutz der Augen und des Sehvermögens der Arbeitnehmer. Regelmässige Untersuchung und augenärztliche Untersuchung. Berechtigte. Pflichten der Arbeitgeber. Umfang
Normenkette
EGVtr Art. 177, 189 Abs. 3; Richtlinie 90/270 des Rates Art. 9 Abs. 1-2, Art. 2 Buchst. b, c, Art. 4-5
Beteiligte
Tenor
Die von der Procura della Repubblica presso la Pretura circondariale Turin vorgelegten Fragen sind unzulässig;
und auf die ihm von der Pretura circondariale Turin mit Beschluß vom 18. April 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezueglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) ist dahin auszulegen, daß sich der darin vorgesehenen regelmässigen Untersuchung der Augen alle Arbeitnehmer zu unterziehen haben, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen; Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 90/270 ist dahin auszulegen, daß die Arbeitnehmer das Recht auf die augenärztliche Untersuchung in allen Fällen haben, in denen sich dies aufgrund der gemäß Absatz 1 durchgeführten Untersuchung der Augen und des Sehvermögens als erforderlich erweist.
2. Die Artikel 4 und 5 der Richtlinie 90/270 sind dahin auszulegen, daß die darin aufgestellte Verpflichtung für alle Arbeitsplätze, wie sie in Artikel 2 Buchstabe b definiert sind, gilt, auch wenn diese Arbeitsplätze nicht mit Arbeitnehmern im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c besetzt sind, und daß die Arbeitsplätze an alle im Anhang genannten Mindestvorschriften angepasst werden müssen.
Tatbestand
Strafverfahren gegen X.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Procura della Repubblica presso la Pretura circondariale di Torino und Pretura circondariale di Torino – Italien.
Verbundene Rechtssachen C-74/95 und C-129/95.
Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-06609
Entscheidungsgründe
1. Der Gerichtshof kann nach Artikel 177 des Vertrages nur von einem Organ angerufen werden, das in völliger Unabhängigkeit im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden hat, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt.
Die Procura della Repubblica kann insoweit nicht als ein Gericht im Sinne von Artikel 177 angesehen werden, da sie nicht die Aufgabe hat, in völliger Unabhängigkeit ein Verfahren zu entscheiden, sondern, gegebenenfalls das Verfahren als Prozesspartei, die die Strafklage erhebt, dem zuständigen Gericht zur Kenntnis zu bringen.
2. Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, die Auslegung und die Anwendung der einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der mit ihnen durchgeführten Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages nachzukommen, hat ihre Grenzen, insbesondere wenn eine solche Auslegung dazu führt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Bestimmungen der Richtlinie verstossen, auf der Grundlage der Richtlinie und unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften zu begründen oder zu verschärfen.
Wenn es darum geht, den Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu bestimmen, die sich aus speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Rechtsvorschriften ergibt, verbietet es der Grundsatz, wonach ein Strafgesetz nicht zum Nachteil des Betroffenen extensiv angewandt werden darf, der aus dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen und, allgemeiner, dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens einzuleiten, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. Dieser Grundsatz, der zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die den gemeinsam...