Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Geltungsbereich. Schiedsgerichtsbarkeit. Ausschluss. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Anordnung eines Schiedsgerichts mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat. Anordnung, mit der die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats untersagt wird. Befugnis der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Anerkennung des Schiedsspruchs zu versagen. New Yorker Übereinkommen
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Beteiligte
Tenor
Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass sie einem Gericht eines Mitgliedstaats die Anerkennung und Vollstreckung oder die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung in Bezug auf einen Schiedsspruch, der es einer Partei untersagt, bei einem Gericht dieses Mitgliedstaats bestimmte Anträge zu stellen, nicht verwehrt, da diese Verordnung nicht die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs in einem Mitgliedstaat regelt, der von einem Schiedsgericht in einem anderen Mitgliedstaat erlassen worden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Litauen) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Oktober 2013, in dem Verfahren
Gazprom OAO
Beteiligte:
Republik Litauen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Ó Caoimh und J.-C. Bonichot, der Richter E. Levits und M. Safjan (Berichterstatter), der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Gazprom OAO, vertreten durch R. Audzevicius, advokatas,
- der litauischen Regierung, vertreten durch A. A. Petravičienė, A. Svinkūnaitė und D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigte im Beistand von V. Bernatonis und A. Šekštelo, advokatai,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch F.-X. Bréchot, G. de Bergues und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt als Bevollmächtigten im Beistand von B. Kennelly, Barrister,
- der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch M. Jametti, M. Schöll und D. Klingele als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Dezember 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage der Gazprom OAO (im Folgenden: Gazprom) mit Sitz in Moskau (Russland) gegen die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs vom 31. Juli 2012 in Litauen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Verordnung Nr. 44/2001 wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351, S. 1), die ab dem 10. Januar 2015 gilt, aufgehoben. Sie gilt jedoch in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens weiter.
Rz. 4
Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 wurde mit dieser im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts bezweckt, „Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen”.
Rz. 5
Die Erwägungsgründe 7 und 11 dieser Verordnung lauteten:
„(7) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken.
…
(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhers...