Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Tragweite der Pflicht der nationalen Finanzaufsichtsbehörden zur Wahrung des Berufsgeheimnisses. Aberkennung des guten beruflichen Leumunds. Fälle, die unter das Strafrecht fallen. Verteidigungsrechte. Akteneinsicht”
Normenkette
Richtlinie 2004/39/EG Art. 54 Abs. 1, 3; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47-48
Beteiligte
Tenor
Art. 54 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass
- die Wendung „Fälle, die unter das Strafrecht fallen”in den Abs. 1 und 3 dieser Vorschrift nicht auf den Fall anwendbar ist, dassdie von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben bezeichneten Behördeneine Maßnahme wie die des Ausgangsverfahrens ergreifen, die darin besteht, einer Person zu untersagen, bei einem beaufsichtigten Unternehmen eine Geschäftsführerfunktion oder eine andere der Zulassung unterliegende Funktion auszuüben, verbunden mit der Anweisung, alle damit verbundenen Funktionen schnellstmöglich niederzulegen, weil diese nicht mehr die in Art. 9 dieser Richtlinie vorgesehenen Anforderungen an den guten beruflichen Leumund erfülle, die zu den Maßnahmen gehört, die die zuständigen Behörden bei der Wahrnehmung der Befugnisse, über die sie nach den Bestimmungen des Titels II dieser Richtlinie verfügen, ergreifen müssen. Indem diese Vorschrift vorsieht, dass von der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses ausnahmsweise in solchen Fällen abgerückt werden kann, betrifft sie nämlich die Weiterleitung oderVerwendung vertraulicher Informationen zur Verweisung zwecks strafrechtlicher Verfolgung an ein Gericht sowie entsprechender Durchführung oder Verhängung strafrechtlicher Sanktionen;
- die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses gemäß Abs. 1 dieses Artikels in Verbindung mit den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in einer Weise gewährleistet und durchgeführt werden muss, die mit der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar ist. Beruft sich eine zuständige Behörde auf diese Pflicht, um die Übermittlung von in ihrem Besitz befindlichen Informationen zu verweigern, die nicht in der Akte zu der Person enthalten sind, die von einem sie beschwerenden Rechtsakt betroffen ist, ist es daher Sache des zuständigen nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Informationen einen objektiven Zusammenhang mit den gegen sie gerichteten Beschwerdepunkten aufweisen, und, sollte dies zu bejahen sein, das Interesse der fraglichen Person, über die notwendigen Informationen zu verfügen, um von ihren Verteidigungsrechten in vollem Umfang Gebrauch machen zu können, gegen die im Zusammenhang mit der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses stehenden Interessen abzuwägen, bevor sie über die Übermittlung der einzelnen beantragten Informationen entscheidet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg) mit Entscheidung vom 21. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 2016, in dem Verfahren
UBS Europe SE, vormals UBS (Luxembourg) SA,
Alain Hondequin u. a.,
Beteiligte:
DV,
EU,
Commission de surveillance du secteur financier (CSSF),
Ordre des avocats du barreau de Luxembourg,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano, des Richters E. Levits, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der UBS Europe SE, vertreten durch M. Elvinger und L. Arpetti, avocats,
- von A. Hondequin u. a., vertreten durch V. Hoffeld und P. Urbany, avocats, sowie E. Fronczak, advocate,
- von DV und EU, vertreten durch J.-P. Noesen, avocat,
- der Commission de surveillance du secteur financier (CSSF), vertreten durch A. Rodesch und P. Sondhi, avocats,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
- der Regierung von Estland, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis und Z. Chatzipavlou als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, J. Rius und I. V. Rogalski als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schl...