Entscheidungsstichwort (Thema)

Wettbewerb. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise. Selektives Vertriebssystem. Kosmetika und Körperpflegeprodukte. Allgemeines und absolutes Verbot des Verkaufs über das Internet. Den zugelassenen Vertriebshändlern vom Lieferanten auferlegtes Verbot

 

Normenkette

AEUV Art. 101 Abs. 1, 3; Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 Art. 2, 4

 

Beteiligte

Pierre Fabre Dermo-Cosmétique

Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS

Président de l'Autorité de la concurrence

Ministre de l'Économie, de l'Industrie et de l'Emploi

 

Tenor

1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems eine Vertragsklausel, nach der der Verkauf von Kosmetika und Körperpflegeprodukten in einem physischen Raum und in Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten erfolgen muss und die ein Verbot der Nutzung des Internets für diese Verkäufe zur Folge hat, eine bezweckte Beschränkung im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn eine individuelle und konkrete Prüfung des Inhalts und des Ziels dieser Vertragsklausel sowie des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs, in dem sie steht, ergibt, dass diese Klausel in Anbetracht der Eigenschaften der in Rede stehenden Produkte nicht objektiv gerechtfertigt ist.

2. Art. 4 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ist dahin auszulegen, dass die in Art. 2 der Verordnung vorgesehene Gruppenfreistellung nicht auf eine selektive Vertriebsvereinbarung anwendbar ist, die eine Klausel enthält, die de facto das Internet als Vertriebsform für die Vertragsprodukte verbietet. Dagegen kann auf eine solche Vereinbarung die Legalausnahme in Art. 101 Abs. 3 AEUV individuell anwendbar sein, wenn die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour d'appel de Paris (Frankreich) mit Entscheidung vom 29. Oktober 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2009, in dem Verfahren

Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS

gegen

Président de l'Autorité de la concurrence,

Ministre de l'Économie, de l'Industrie et de l'Emploi,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), G. Arestis, T. von Danwitz und D. Šváby,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS, vertreten durch J. Philippe, avocat,
  • des Président de l'Autorité de la concurrence, vertreten durch B. Lasserre, F. Zivy, I. Luc und L. Gauthier-Lescop,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J. Gstalter als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch M. Massella Ducci Teri, avvocato dello Stato,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch P. J. O. Van Nuffel und A. Bouquet als Bevollmächtigte,
  • der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch O. Einarsson und F. Simonetti als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2011

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 81 Abs. 1 und 3 EG und der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. L 336, S. 21).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsbehelfs der Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS (im Folgenden: Pierre Fabre Dermo-Cosmétique) auf Aufhebung und, hilfsweise, auf Änderung der Entscheidung 08-D-25 vom 29. Oktober 2008 (im Folgenden: streitige Entscheidung) des Wettbewerbsrats (seit dem 13. Januar 2009: Autorité de la concurrence, im Folgenden: Wettbewerbsbehörde) in Bezug auf das in den selektiven Vertriebsvereinbarungen von Pierre Fabre Dermo-Cosmétique enthaltene Verbot, über das Internet ihre Kosmetika und Körperpflegeprodukte zu verkaufen, das sie den von ihr zuvor zugelassenen Vertriebshändlern auferlegt und das gegen Art. L. 420-1 des Code de commerce (Handelsgesetzbuch) und Art. 81 EG verstoßen soll.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2790/1999 lautet:

„Diese Verordnung darf keine vertikalen Vereinbarungen freistellen, welche Beschränkungen enthalten, die für die Herbeiführung der vorgenannten günstigen Wirkungen nicht unerlässlich sind. Insbesondere solche vertikalen Vereinbarungen, die bestimmte Arten schwerwiegender wettbewerbsschädigender Beschränkungen enthalten, wie die Festsetzung von Mindest- oder Festpreisen für den Weiterverkauf oder bestimmte Arten des G...

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