Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Dienstleistungsverkehr. Nationale Regelung, die die Kabelnetzbetreiber verpflichtet, die von bestimmten privaten Rundfunkveranstaltern gesendeten Programme zu übertragen (‚must carry’). Beschränkung. Zwingender Grund des Allgemeininteresses. Aufrechterhaltung des Pluralismus in einem zweisprachigen Gebiet
Normenkette
EG Art. 49
Beteiligte
United Pan-Europe Communications Belgium SA |
United Pan-Europe Communications Belgium SA |
Société Intercommunale pour la Diffusion de la Télévision (Brutélé) |
Tenor
Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen, nach der die im betroffenen Gebiet dieses Staates tätigen Kabelnetzbetreiber aufgrund einer Übertragungspflicht „must carry”) die Fernsehprogramme verbreiten müssen, die von privaten Rundfunkveranstaltern gesendet werden, die den Behörden dieses Staates unterstehen und von diesen bezeichnet wurden, dann nicht entgegensteht, wenn diese Regelung
- ein Ziel des Allgemeininteresses wie die Aufrechterhaltung des pluralistischen Charakters des Fernsehprogrammangebots in diesem Gebiet im Rahmen der Kulturpolitik dieses Mitgliedstaats verfolgt, und
- nicht außer Verhältnis zu diesem Ziel steht, was bedeutet, dass die Durchführung der Regelung einem transparenten Verfahren unterliegen muss, das auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruht.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d'État (Belgien) mit Entscheidung vom 17. Mai 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juni 2006, in dem Verfahren
United Pan-Europe Communications Belgium SA,
Coditel Brabant SPRL,
Société Intercommunale pour la Diffusion de la Télévision (Brutélé),
Wolu TV ASBL
gegen
État belge,
Beteiligte:
BeTV SA,
Tvi SA,
Télé Bruxelles ASBL,
Belgian Business Television SA,
Media ad Infinitum SA,
TV5-Monde
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter U. Lõhmus, J. N. Cunha Rodrigues, A. Ó Caoimh (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der United Pan-Europe Communications Belgium SA, Coditel Brabant SPRL und Wolu TV ASBL, vertreten durch F. de Visscher und E. Cornu, avocats,
- der Belgian Business Television SA, vertreten durch F. Van Elsen, avocat,
- der TV5-Monde und Media ad Infinitum SA, vertreten durch A. Berenboom und A. Joachimowicz, avocats,
- der Télé Bruxelles ASBL, vertreten durch C. Doutrelepont und V. Chapoulaud, avocats,
- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Hubert als Bevollmächtigte im Beistand von A. Berenboom und A. Joachimowicz, avocats,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und J. Marques Lopes als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch T. Harris als Bevollmächtigte im Beistand von G. Peretz, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Arbault und M. Shotter als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Oktober 2007
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 EG und Art. 86 EG, von Letzterem insbesondere in Verbindung mit Art. 82 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der United Pan-Europe Communications Belgium SA (im Folgenden: UPC), der Coditel Brabant SPRL, der Société Intercommunale pour la Diffusion de la Télévision (Brutélé) und der Wolu TV ASBL einerseits und dem belgischen Staat andererseits wegen der ihnen durch diesen auferlegten Verpflichtung, im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt die von bestimmten, von den Behörden dieses Staates bezeichneten privaten Rundfunkveranstaltern gesendeten Fernsehprogramme zu übertragen.
Nationales Recht
3 Art. 13 des Gesetzes vom 30. März 1995 betreffend die Netze zur Verbreitung von Rundfunksendungen und die Ausübung von Rundfunkaktivitäten im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt (Moniteur belge vom 22. Februar 1996, S. 3797, im Folgenden: Gesetz von 1995) bestimmt:
„Kabelnetzbetreiber mit einer Zulassung für den Betrieb von Verteilernetzen für Rundfunksendungen im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt müssen folgende Fernsehprogramme im Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung in voller Länge übertragen:
- Fernsehprogramme, die von den öffentlichen Rundfunkanstalten gesendet werden, die der Zuständigkeit der französischen Gemeinschaft unterstehen, und von denjenigen, die der Zuständigkeit der flämischen Gemeinschaft unterstehen;
- Fernsehprogramme, die von einem anderen...