Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen. Richtlinie 76/308/EWG. Überprüfungsbefugnis der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat. Vollstreckbarkeit des Vollstreckungstitels. Ordnungsgemäße Zustellung des Titels an den Schuldner. Zustellung in einer Sprache, die der Schuldner nicht versteht
Beteiligte
Tenor
1. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen in der durch die Richtlinie 2001/44/EG des Rates vom 15. Juni 2001 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, grundsätzlich nicht zuständig sind, die Vollstreckbarkeit des Vollstreckungstitels zu prüfen. Wird jedoch ein Gericht dieses Mitgliedstaats mit einem Rechtsbehelf gegen die Wirksamkeit oder die Ordnungsgemäßheit von Vollstreckungsmaßnahmen wie der Zustellung befasst, ist dieses Gericht befugt, zu prüfen, ob diese Maßnahmen ordnungsgemäß nach Maßgabe der Rechts- und Verwaltungsvorschriften dieses Mitgliedstaats durchgeführt worden sind.
2. Im Rahmen der mit der Richtlinie 76/308 in der durch die Richtlinie 2001/44 geänderten Fassung geschaffenen gegenseitigen Unterstützung ist dem Empfänger eines Vollstreckungstitels dieser Titel in einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, zuzustellen, um ihn in die Lage zu versetzen, seine Rechte geltend zu machen. Um die Wahrung dieses Rechts zu garantieren, hat das nationale Gericht sein nationales Recht anzuwenden, wobei es dafür Sorge zu tragen hat, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sichergestellt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 5. Mai 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Mai 2008, in dem Verfahren
Milan Kyrian
gegen
Celní úřad Tábor
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter E. Levits, A. Borg Barthet, M. Ilešič (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias sowie E. Leftheriotou und V. Karra als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Afonso und L. Jelínek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. September 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (ABl. L 73, S. 18) in der durch die Richtlinie 2001/44/EG des Rates vom 15. Juni 2001 (ABl. L 175, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 76/308).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Kyrian und dem Celní úřad Tábor (Zollbehörde Tabor) hinsichtlich der Überprüfung der Vollstreckbarkeit eines vom Hauptzollamt Regensburg erlassenen Bescheids über die Beitreibung einer Forderung.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Ziel der Richtlinie 76/308 ist die Beseitigung der Hindernisse für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes und der Beeinträchtigungen seines Funktionierens, die sich aus dem auf das jeweilige Hoheitsgebiet begrenzten Anwendungsbereich der nationalen Bestimmungen auf dem Gebiet der Beitreibung u. a. von Zöllen ergeben.
Rz. 4
Nach dem sechsten Erwägungsgrund sind die verschiedenen Formen der Unterstützung von der ersuchten Behörde unter Wahrung der einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz hat, anzuwenden, während nach dem siebten Erwägungsgrund die Bedingungen festzulegen sind, unter denen die Unterstützungsersuchen von den ersuchenden Behörden gestellt werden müssen, und abschließend zu definieren ist, unter welchen besonderen Umständen die ersuchte Behörde in einem bestimmten Fall einem Unterstützungsersuchen nicht stattzugeben braucht.
Rz. 5
Nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 76/308 ist für den Fall, dass im Verlauf des Beitreibungsverfahrens in dem Mitg...