Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Aufträge. Klage. Richtlinie 89/665/EWG. Wirksame Nachprüfung. Begriff. Gleichgewicht zwischen dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und dem Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse. Schutz der Vertraulichkeit der von den Wirtschaftsteilnehmern gemachten Angaben durch die Nachprüfungsinstanz
Beteiligte
Tenor
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Nachprüfungsinstanz im Sinne dieses Art. 1 Abs. 1 die Vertraulichkeit und das Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse im Hinblick auf den Inhalt der ihr von den Verfahrensbeteiligten, u. a. vom öffentlichen Auftraggeber, übergebenen Unterlagen gewährleisten muss, wobei sie Kenntnis von solchen Angaben haben und diese berücksichtigen darf. Es ist Sache dieser Instanz, zu entscheiden, inwieweit und nach welchen Modalitäten die Vertraulichkeit und die Geheimhaltung dieser Angaben im Hinblick auf die Erfordernisse eines wirksamen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte der am Rechtsstreit Beteiligten und – im Fall einer Klage oder eines Rechtsbehelfs bei einer Stelle, die ein Gericht im Sinne von Art. 234 EG ist – zu gewährleisten sind, damit in dem Rechtsstreit insgesamt das Recht auf ein faires Verfahren beachtet wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d'État (Belgien) mit Entscheidung vom 24. Oktober 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2006, in dem Verfahren
Varec SA
gegen
Belgischer Staat,
Beteiligte:
Diehl Remscheid GmbH & Co.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) und J. Klučka sowie der Richterin P. Lindh und des Richters A. Arabadjiev,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Varec SA, vertreten durch J. Bourtembourg und C. Molitor, avocats,
- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Hubert als Bevollmächtigte im Beistand von N. Cahen, avocat,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Stromsky und D. Kukovec als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Oktober 2007
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der Fassung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) (im Folgenden: Richtlinie 89/665).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Varec SA (im Folgenden: Varec) und dem belgischen Staat, vertreten durch den Verteidigungsminister, um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für die Lieferung von Kettengliedern für Panzer des Typs „Leopard”.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinien 71/305/EWG, 77/62/EWG und 92/50/EWG … fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der nachstehenden Artikel, insbesondere von Artikel 2 Absatz 7, auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.”
Rz. 4
Art. 33 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1) hebt die Richtlinie 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. 1977, L 13, S. 1) auf und bestimmt, dass Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie als Bezugnahmen auf die Richtlinie 93/36 gelten. Ebenso hebt Art. 36 der ...