Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Begriffe ‚Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag’ und ‚Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den ein Verbraucher geschlossen hat’. Wechsel. Wechselbürgschaft. Sicherung eines Kreditvertrags
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 5 Nr. 1 Buchst. a, Art. 15 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine natürliche Person, die mit einer Gesellschaft beruflich oder gewerblich eng verbunden ist, etwa als deren Geschäftsführer oder Mehrheitsbeteiligter, nicht als Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann, wenn sie eine Wechselbürgschaft für einen Wechsel übernimmt, der als Garantie für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft aus einem Vertrag über die Gewährung eines Kredits begeben wurde. Daher kommt diese Vorschrift nicht zur Anwendung, um das zuständige Gericht für eine Klage zu bestimmen, mit der der in einem Mitgliedstaat ansässige Begünstigte eines Wechsels, der bei der Unterzeichnung nicht vollständig ausgefüllt und später vom Begünstigten vervollständigt wurde, die Ansprüche aus dem Wechsel gegen den in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Wechselbürgen geltend macht.
2. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 kommt zur Anwendung, um das zuständige Gericht für eine Klage zu bestimmen, mit der der in einem Mitgliedstaat ansässige Begünstigte eines Wechsels, der bei der Unterzeichnung nicht vollständig ausgefüllt und später vom Begünstigten vervollständigt wurde, die Ansprüche aus dem Wechsel gegen den in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Wechselbürgen geltend macht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Městský soud v Praze (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 21. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 10. August 2011, in dem Verfahren
Česká spořitelna, a.s.
gegen
Gerald Feichter
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter), E. Levits, J.-J. Kasel und M. Safjan,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Česká spořitelna, a.s., vertreten durch M. Vojáček, advokát,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der schweizerischen Regierung, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Šimerdová und A.-M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. September 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a und Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Česká spořitelna, a.s. (im Folgenden: Česká spořitelna), mit Sitz in der Tschechischen Republik und Herrn Feichter, der in Österreich wohnt.
Rechtlicher Rahmen
Die Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt, dass „Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, … vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden [können]”.
Rz. 5
Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001, der in Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten”) steht, sieht vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre”.
Rz. 6
Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der in Abschnitt 4 („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen”) steht, bestimmt:
„Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahren...