Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Systeme der sozialen Sicherheit. Leistungen bei Invalidität. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Je nach Mitgliedstaat unterschiedliche Entschädigungsregelungen. ‚Wartezeit bei Arbeitsunfähigkeit’. Dauer. Gewährung einer Entschädigung wegen Arbeitsunfähigkeit. Nachteile für Wanderarbeitnehmer

 

Normenkette

AEUV Art. 45, 48; EGV Nr. 883/2004

 

Beteiligte

Vester

Maria Vester

Rijksinstituut voor ziekte- en invaliditeitsverzekering

 

Tenor

Die Art. 45 und 48 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, in der ein Arbeitnehmer, der ein Jahr arbeitsunfähig war und bei dem der zuständige Träger seines Wohnmitgliedstaats die Invalidität anerkannt hat, ohne dass er nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats eine Entschädigung wegen Invalidität beanspruchen kann, nach den Vorgaben des zuständigen Trägers des Mitgliedstaats, in dem er alle seine Versicherungszeiten zurückgelegt hat, ein weiteres Jahr arbeitsunfähig sein muss, damit seine Invalidität anerkannt wird und ihm anteilsmäßige Leistungen bei Invalidität gewährt werden, ohne dass er während dieses Zeitraums eine Entschädigung wegen Arbeitsunfähigkeit erhält.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Arbeidsrechtbank Antwerpen (Arbeitsgericht Antwerpen, Belgien) mit Entscheidung vom 8. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Februar 2018, in dem Verfahren

Maria Vester

gegen

Rijksinstituut voor ziekte- en invaliditeitsverzekering

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter), des Richters J. Malenovský und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Vester, vertreten durch D. Volders, advocaat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, L. Van den Broeck und C. Pochet als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und M. van Beek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 45 und 48 AEUV, der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) sowie der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. 2009, L 284, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Maria Vester und dem Rijksinstituut voor ziekte- en invaliditeitsverzekering (Landesinstitut für Kranken- und Invalidenversicherung, im Folgenden: RIZIV) wegen dessen Weigerung, Frau Vester eine Entschädigung wegen Invalidität zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 883/2004

Rz. 3

Art. 6 in Titel I „Allgemeine Bestimmungen”) der Verordnung Nr. 883/2004 sieht vor:

„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften:

– den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs,

von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten abhängig machen, soweit erforderlich die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten, als ob es sich um Zeiten handeln würde, die nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.”

Rz. 4

Art. 11 Abs. 3 Buchst. c in Titel II „Bestimmung des anwendbaren Rechts”) der Verordnung Nr. 883/2004 lautet:

„Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats”.

Rz. 5

Kapitel 5 „Alters- und Hinterbliebenenrenten”) des Titels III der Verordnung Nr. 883/2004 enthält die Art. 50 bis 60.

Rz. 6

Art. 51 „Besondere Vorschriften über die Zusammenrechnung von Zeiten”) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Gewährung bestimmter Leistungen davon abhängig, dass die Versicherungszeiten nur in einer bestimmten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit oder einem Beruf zurückgelegt wurden, für die ein Sondersystem für beschäftigte oder selbstständig erwerbstätige Personen gilt, so berüc...

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