Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Befugnisse der Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats. Recht auf Löschung (‚Recht auf Vergessenwerden‘). Löschung personenbezogener Daten, die unrechtmäßig verarbeitet wurden. Befugnis der nationalen Aufsichtsbehörde, den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter ohne vorherigen Antrag der betroffenen Person zur Löschung dieser Daten anzuweisen
Normenkette
EUVO 679/2016 Art. 58 Abs. 2 Buchst. d, g, Art. 17 Abs. 1
Beteiligte
Újpesti Polgármesteri Hivatal |
Budapest Főváros IV. Kerület Újpest Önkormányzat Polgármesteri Hivatala |
Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság |
Tenor
1.Art. 58 Abs. 2 Buchst. d und g der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
ist dahin auszulegen, dass
die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter in Ausübung ihrer in diesen Bestimmungen vorgesehenen Abhilfebefugnisse selbst dann zur Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anweisen darf, wenn die betroffene Person keinen entsprechenden Antrag auf Ausübung ihrer Rechte nach Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung gestellt hat.
2.Art. 58 Abs. 2 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
sich die Befugnis der Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats, die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anzuordnen, sowohl auf bei der betroffenen Person erhobene als auch auf aus einer anderen Quelle stammende Daten beziehen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-46/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 8. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2023, in dem Verfahren
Budapest Főváros IV. Kerület Újpest Önkormányzat Polgármesteri Hivatala
gegen
Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi, M. Ilešič (Berichterstatter), I. Jarukaitis und D. Gratsias,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság, vertreten durch G. J. Dudás, Ügyvéd,
- – der ungarischen Regierung, vertreten durch Zs. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch A. Ballesteros Panizo als Bevollmächtigten,
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und C. Gabauer als Bevollmächtigte,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- – der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, J. Ramos und C. Vieira Guerra als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, C. Kovács und H. Kranenborg als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 58 Abs. 2 Buchst. c, d und g der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, berichtigt in ABl. 2018, L 127, S. 2, im Folgenden: DSGVO).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Budapest Főváros IV. Kerület Újpest Önkormányzat Polgármesteri Hivatala (Bürgermeisteramt der lokalen Verwaltung Újpest – IV. Bezirk der Hauptstadt Budapest, Ungarn) (im Folgenden: Verwaltung Újpest) und der Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság (Nationale Behörde für Datenschutz und Informationsfreiheit, Ungarn) (im Folgenden: ungarische Aufsichtsbehörde) wegen eines Bescheids, mit dem diese Behörde die Verwaltung Újpest zur Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten angewiesen hat.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1, 10 und 129 DSGVO heißt es:
„(1) Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein Grundrecht. Gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union … sowie Artikel 16 Absatz 1 [AEUV] hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
…
(10) Um ein gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen zu gewährleisten und die Hemmnisse für den Verkehr personenbezogener Daten in der [Europäischen] Union zu beseitigen, sollte das Schutzniveau für die Recht...