Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Elterliche Verantwortung. Allgemeine Zuständigkeit. Grundsatz der perpetuatio fori. Im Lauf des Verfahrens erfolgte Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in einen Drittstaat, der Vertragspartei des Haager Übereinkommens von 1996 ist
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 8 Abs. 1, Art. 61 Buchst. a
Beteiligte
Tenor
Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 in Verbindung mit Art. 61 Buchst. a dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem ein die elterliche Verantwortung betreffender Rechtsstreit anhängig ist, die nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung bestehende Zuständigkeit für die Entscheidung über diesen Rechtsstreit nicht behält, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des betreffenden Kindes im Lauf des Verfahrens rechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Drittstaats verlegt worden ist, der Vertragspartei des am 19. Oktober 1996 in Den Haag abgeschlossenen Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 14. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 16. September 2021, in dem Verfahren
CC
gegen
VO
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richter S. Rodin und J.-C. Bonichot sowie der Richterinnen L. S. Rossi (Berichterstatterin) und O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, U. Bartl und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Carlin und W. Wils als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 und von Art. 61 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen CC und VO wegen des von VO in Schweden gestellten Antrags, ihm das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn M zu übertragen.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Sämtliche Mitgliedstaaten der Union haben das am 19. Oktober 1996 in Den Haag abgeschlossene Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1996) ratifiziert oder sind ihm beigetreten. Im Jahr 2012 ist auch die Russische Föderation dem Übereinkommen beigetreten und es trat dort am 1. Juni 2013 in Kraft.
Rz. 4
Der vierte Erwägungsgrund des Haager Übereinkommens von 1996 lautet:
„bekräftigend, dass das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist”.
Rz. 5
Art. 5 in Kapitel II („Zuständigkeit”) dieses Übereinkommens bestimmt:
„(1) Die Behörden, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden, des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sind zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen.
(2) Vorbehaltlich des Artikels 7 sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.”
Rz. 6
Art. 52 Abs. 2 bis 4 des Haager Übereinkommens von 1996 sieht vor:
„(2) Dieses Übereinkommen lässt die Möglichkeit unberührt, dass ein oder mehrere Vertragsstaaten Vereinbarungen treffen, die in Bezug auf Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem der Staaten, die Vertragsparteien solcher Vereinbarungen sind, Bestimmungen über die in diesem Übereinkommen geregelten Angelegenheiten enthalten.
(3) Künftige Vereinbarungen eines oder mehrerer Vertragsstaaten über Angelegenheiten im Anwendungsbereich dieses Übereinkommens lassen im Verhältnis zwischen solchen Staaten und anderen Vertr...