Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Niederlassungsfreiheit. Freier Dienstleistungsverkehr. Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsverbot. Transparenzpflicht. Geltungsbereich. Vereinbarung zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts eines Mitgliedstaats und einem Unternehmen dieses Mitgliedstaats. Von diesen Körperschaften vorgenommene Übertragung ihrer Fernsehdienste und, für eine bestimmte Dauer, des ausschließlichen Rechts auf Nutzung ihrer Kabelnetze auf ein Unternehmen dieses Mitgliedstaats. Möglichkeit eines Wirtschaftsteilnehmers dieses Mitgliedstaats, sich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats auf die Art. 49 AEUV und 56 AEUV zu berufen. Keine Ausschreibung. Rechtfertigung. Bestehen einer älteren Vereinbarung. Vergleich zur Beendigung eines Rechtsstreits über die Auslegung dieser Vereinbarung. Gefahr der Wertminderung der übertragenen Tätigkeit
Normenkette
AEUV Art. 49, 56
Beteiligte
Interkommunale voor Teledistributie van het Gewest Antwerpen (Integan) |
West-Vlaamse Energie- en Teledistributiemaatschappij (WVEM) |
Provinciale Brabantse Energiemaatschappij CVBA (PBE) |
Tenor
1. Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer eines Mitgliedstaats vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats geltend machen kann, dass bei dem Abschluss einer Vereinbarung, mit der eine oder mehrere Körperschaften des öffentlichen Rechts dieses Mitgliedstaats gegen Entgelt u. a. das ausschließliche Recht zur Nutzung von Kabelfernsehnetzen sowie ihre Fernsehdienste und die damit verbundenen Abonnementverträge auf einen Wirtschaftsteilnehmer desselben Mitgliedstaats übertragen, die sich aus diesen Artikeln ergebende Transparenzpflicht verletzt worden ist.
2. Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sind dahin auszulegen, dass
- der Wille, bestimmte Rechte nicht zu verletzen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts einem Wirtschaftsteilnehmer durch eine frühere Vereinbarung über die Nutzung ihrer Kabelnetze eingeräumt haben, eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Erweiterung dieser Vereinbarung durch eine unmittelbare Vergabe einer Dienstleistungskonzession oder eines ausschließlichen Rechts auf Ausübung einer Tätigkeit, an der ein sicheres grenzüberschreitendes Interesse besteht, nicht rechtfertigen kann, auch wenn dies zur Beilegung eines Rechtsstreits geschieht, der zwischen den Betroffenen wegen der Tragweite dieser Vereinbarung anhängig ist und auf Gründe zurückzuführen ist, auf die sie überhaupt keinen Einfluss haben;
- wirtschaftliche Gründe wie etwa der Wille, die Wertminderung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu vermeiden, nicht als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anzusehen sind, die rechtfertigen können, dass eine Dienstleistungskonzession über diese Tätigkeit oder ein ausschließliches Recht zur Ausübung dieser Tätigkeit, an der ein sicheres grenzüberschreitendes Interesse besteht, abweichend von den in diesen Artikeln verankerten Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung unmittelbar vergeben wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State van België (Belgien) mit Entscheidung vom 2. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Mai 2012, in dem Verfahren
Belgacom NV
gegen
Interkommunale voor Teledistributie van het Gewest Antwerpen (Integan),
Inter-Media,
West-Vlaamse Energie- en Teledistributiemaatschappij (WVEM),
Provinciale Brabantse Energiemaatschappij CVBA (PBE),
Beteiligte:
Telenet NV,
Telenet Vlaanderen NV,
Telenet Group Holding NV,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter) und C. Vajda,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Belgacom NV, vertreten durch B. Schutyser, advocaat,
- der Interkommunale voor Teledistributie van het Gewest Antwerpen (Integan), Inter-Media, West-Vlaamse Energie- en Teledistributiemaatschappij (WVEM) und Provinciale Brabantse Energiemaatschappij CVBA (PBE), vertreten durch D. D'Hooghe und P. Wytinck, advocaten,
- der Telenet NV, Telenet Vlaanderen NV und Telenet Group Holding NV, vertreten durch T. De Meese, advocaat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von S. Depré, avocat,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch T. van Rijn, I. Rogalski und A. Tokár als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV und 56 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bel...