Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Anerkennung und Vollstreckung. Artikel 34 Nummer 2. Versäumnisurteil. Versagungsgrund. Begriff des Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und ‚die Möglichkeit hatte’. , gegen die Entscheidung einen Rechtsbehelf einzulegen. Nichtzustellung der Entscheidung
Beteiligte
Semiconductor Industry Services GmbH (SEMIS) |
Tenor
Artikel 34 Nummer 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Beklagter „die Möglichkeit”, einen Rechtsbehelf gegen ein Versäumungsurteil einzulegen, nur dann hatte, wenn er tatsächlich Kenntnis von dessen Inhalt durch eine Zustellung erlangt hatte, die so rechtzeitig erfolgte, dass er sich vor dem Gericht des Ursprungsstaats verteidigen konnte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 30. Juni 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2005, in dem Verfahren
ASML Netherlands BV
gegen
Semiconductor Industry Services GmbH (SEMIS)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts (Berichterstatter), J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ASML Netherlands BV, vertreten durch Rechtsanwalt J. Leon,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, C. ten Dam und M. de Grave als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch T. Harris als Bevollmächtigte im Beistand von K. Bacon, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët, W. Bogensberger und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. September 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 34 Nummer 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ASML Netherlands BV (im Folgenden: ASML) mit Sitz in Veldhoven (Niederlande) und der Semiconductor Industry Services GmbH (im Folgenden: SEMIS) mit Sitz in Feistritz-Drau (Österreich) über die Exekution eines Versäumungsurteils der Rechtbank 's-Hertogenbosch (Niederlande) in Österreich, mit dem SEMIS verurteilt wird, an ASML 219 918,60 Euro zuzüglich Zinsen und Verfahrenskosten zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen
Die Verordnung Nr. 44/2001
3 Artikel 26 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„(1) Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und der vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist.
(2) Das Gericht hat das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte, oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind.”
4 Nach Artikel 26 Absatz 3 der Verordnung Nr. 44/2001 tritt an die Stelle von deren Artikel 26 Absatz 2 Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. L 160, S. 37), wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach der genannten Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war.
5 Artikel 33 Absatz 1 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt, dass „[d]ie in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen … in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt [werden], ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf”.
6 Artikel 34 Nummer 2 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt jedoch, dass eine Entscheidung nicht anerkannt wird, wenn „dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein glei...