Entscheidungsstichwort (Thema)
Europa-Mittelmeer-Abkommen. Tunesischer Arbeitnehmer, der die Erlaubnis zum Aufenthalt und zur Ausübung einer Berufstätigkeit in einem Mitgliedstaat. Diskriminierungsverbot in Bezug auf die Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen. Befristung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis
Beteiligte
Tenor
Artikel 64 Absatz 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens vom 17. Juli 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen Republik andererseits ist dahin auszulegen, dass er Wirkungen auf das Recht eines tunesischen Staatsangehörigen entfaltet, sich im Gebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten, wenn dieser Staatsangehörige von diesem Mitgliedstaat eine ordnungsgemäße Genehmigung erhalten hat, eine Berufstätigkeit für eine die Dauer seiner Aufenthaltserlaubnis übersteigende Zeit auszuüben.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Darmstadt (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. Januar 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Februar 2005, in dem Verfahren
Mohamed Gattoussi
gegen
Stadt Rüsselsheim
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts, J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič und E. Levits (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Mohamed Gattoussi, vertreten durch Rechtsanwältin P. von Schumann,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, C. Schulze-Bahr und U. Bender als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch G. Karipsiadis und T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. April 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 64 Absatz 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens vom 26. Januar 1998 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen Republik andererseits, geschlossen in Brüssel am 17. Juli 1995 und genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl durch Beschluss 98/238/EG, EGKS des Rates und der Kommission vom 26. Januar 1998 (ABl. L 97, S. 1, im Folgenden: Europa-Mittelmeer-Abkommen).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Herrn Gattoussi, einem tunesischen Staatsangehörigen, gegen die Stadt Rüsselsheim über die Entscheidung des Oberbürgermeisters dieser Stadt, die Aufenthaltserlaubnis des Betroffenen, der am Tag dieser Entscheidung über eine unbefristete Arbeitsgenehmigung verfügte und einer Beschäftigung nachging, nachträglich zu befristen.
Rechtlicher Rahmen
Das Europa-Mittelmeer-Abkommen
3 Artikel 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens in Kapitel I „Bestimmungen über die Arbeitskräfte”) des Titels VI „Zusammenarbeit im sozialen und kulturellen Bereich”) lautet:
„(1) Jeder Mitgliedstaat gewährt den Arbeitnehmern tunesischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt.
(2) Absatz 1 gilt hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für alle tunesischen Arbeitnehmer, die dazu berechtigt sind, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine befristete nichtselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben.
(3) Tunesien gewährt den in seinem Hoheitsgebiet beschäftigten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, die gleiche Behandlung.”
4 Artikel 66 des Europa-Mittelmeer-Abkommens sieht vor:
„Die Bestimmungen dieses Kapitels gelten nicht für die Staatsangehörigen einer der Vertragsparteien, die im Hoheitsgebiet des Gastlandes illegal wohnen oder arbeiten.”
5 In der Gemeinsamen Erklärung der Vertragsparteien zu Artikel 64 Absatz 1 in der Schlussakte des Europa-Mittelmeer-Abkommens heißt es außerdem:
„Was die nichtdiskriminierende Behandlung bei der Entlassung anbetrifft, so kann Artikel 64 Absatz 1 nicht in Anspruch genommen werden, um die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Für die Erteilung, die Verlängerung oder die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung sind ausschließlich die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten sowie die … bilateralen Übereinkünfte … maßgeblich.”
6 Gemäß Artikel 91 des Europa-Mittelmeer-Abkommens ist die Gemeinsame Erklärung Bestandteil dieses Abkommens.
Die einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts
7 § 12 Absatz 2 des Ausländergesetzes in se...