Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003. Einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen. Anerkennung und Vollstreckung
Beteiligte
Tenor
Die Vorschriften der Art. 21 ff. der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 sind nicht auf einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts nach Art. 20 dieser Verordnung anwendbar.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juli 2009, in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Bianca Purrucker
gegen
Guillermo Vallés Pérez
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin P. Lindh sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Purrucker, vertreten durch Rechtsanwältin B. Steinacker,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. López-Medel Báscones als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Russo, avvocato dello Stato,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch R. Somssich, K. Szíjjártó und S. Boreczki als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von K. Smith, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. M. Rouchaud-Joët und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. Mai 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Rechtsbeschwerde von Frau Purrucker, der Mutter der Kinder Merlín und Samira Purrucker, vor dem Bundesgerichtshof gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (Deutschland) vom 22. September 2008, mit der die Erteilung der Vollstreckungsklausel für eine Entscheidung des Juzgado de Primera Instancia n° 4 de San Lorenzo de El Escorial (Spanien), mit der das Sorgerecht für beide Kinder deren Vater übertragen wurde, bestätigt wird.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung wurde am 25. Oktober 1980 im Rahmen der Haager Konferenz für internationales Privatrecht unterzeichnet (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980). Es trat am 1. Dezember 1983 in Kraft. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind Vertragsparteien des Übereinkommens.
Rz. 4
Das Übereinkommen enthält Vorschriften, wonach die sofortige Rückgabe eines widerrechtlich verbrachten oder zurückgehaltenen Kindes anzuordnen ist.
Rz. 5
Art. 16 des Haager Übereinkommens von 1980 sieht insbesondere vor, dass die Gerichte des Vertragsstaats, in den das Kind verbracht oder in dem es zurückgehalten wurde, wenn ihnen das widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten des Kindes mitgeteilt worden ist, eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen dürfen, wenn entschieden ist, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist.
Rz. 6
Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern wurde am 19. Oktober 1996 ebenfalls im Rahmen der Haager Konferenz für internationales Privatrecht unterzeichnet (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1996) und ist an die Stelle des Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen getreten.
Rz. 7
Einige Mitgliedstaaten, u. a. die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien, haben dieses Übereinkommen nicht ratifiziert. Sie sind hierzu ermächtigt durch die E...