Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Begriff des Familienangehörigen, der mit dem primär aufenthaltsberechtigten Unionsbürger in häuslicher Gemeinschaft lebt. Beurteilungskriterien
Normenkette
Richtlinie 2004/38/EG Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a
Beteiligte
Minister for Justice and Equality |
Minister for Justice and Equality |
Tenor
Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG
ist dahin auszulegen, dass
die Wendung „jeder Familienangehörige, der mit dem primär aufenthaltsberechtigten Unionsbürger in häuslicher Gemeinschaft lebt”, im Sinne dieser Bestimmung Personen bezeichnet, die zu dem betreffenden Unionsbürger in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, das auf engen und festen, im selben Haushalt im Rahmen einer häuslichen Lebensgemeinschaft entstandenen persönlichen Beziehungen beruht, die über ein bloßes vorübergehendes Zusammenwohnen aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen hinausgeht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 13. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Januar 2021, in dem Verfahren
SRS,
AA
gegen
Minister for Justice and Equality
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Jääskinen, M. Safjan, N. Piçarra (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von SRS und AA, vertreten durch K. Berkeley, Solicitor, M. Flynn, JC, und C. O'Dwyer, SC,
- [berichtigt mit Beschluss vom 28. Oktober 2022] des Minister for Justice and Equality, vertreten durch M. Browne, A. Joyce und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Brett, M. D. Conlan Smyth, SC, und M. T. O'Connor, BL,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- des Königreichs Norwegen, vertreten durch J. T. Kaasin und H. Ruus als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti und J. Tomkin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SRS und AA auf der einen und dem Minister for Justice and Equality (Minister für Justiz und Gleichberechtigung, Irland) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit der Versagung eines Aufenthaltstitels.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 lautet:
„Um die Einheit der Familie im weiteren Sinne zu wahren und unbeschadet des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sollte die Lage derjenigen Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Richtlinie gelten und die daher kein automatisches Einreise- und Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat genießen, von dem Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage seiner eigenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften daraufhin geprüft werden, ob diesen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet werden könnte, wobei ihrer Beziehung zu dem Unionsbürger sowie anderen Aspekten, wie ihre finanzielle oder physische Abhängigkeit von dem Unionsbürger, Rechnung zu tragen ist.”
Rz. 4
Art. 2 („Begriffsbestimmungen”) der Richtlinie bestimmt in Nr. 2:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
2. ‚Familienangehöriger’
- den Ehegatten;
- den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetrag...