Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Daueraufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind. Berücksichtigung von Zeiträumen, in denen diese Staatsangehörigen Freiheitsstrafen verbüßen
Normenkette
Richtlinie 2004/38/EG Art. 16 Abs. 2, Art. 3
Beteiligte
Secretary of State for the Home Department |
Tenor
1. Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass Zeiträume, in denen im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe von einem Drittstaatsangehörigen verbüßt worden ist, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der während dieser Zeiträume das Daueraufenthaltsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat erworben hat, nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts im Sinne dieser Bestimmung durch den Drittstaatsangehörigen berücksichtigt werden können.
2. Art. 16 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass die Kontinuität des Aufenthalts durch Zeiträume unterbrochen wird, in denen im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe von einem Drittstaatsangehörigen verbüßt worden ist, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der während dieser Zeiträume das Daueraufenthaltsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat erworben hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber), London (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 11. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 2012, in dem Verfahren
Nnamdi Onuekwere
gegen
Secretary of State for the Home Department
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2013
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Onuekwere, vertreten durch M. Henderson und C. Meredith, Barristers, beauftragt durch D. Furner, Solicitor,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brighouse und H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von R. Palmer, Barrister,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
- von Irland, vertreten durch E. Creedon als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und C. Tufvesson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, Berichtigung im ABl. L 229, S. 35).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Onuekwere und dem Secretary of State for the Home Department (Innenminister, im Folgenden: Secretary of State) wegen einer Entscheidung, mit der Herrn Onuekwere eine Daueraufenthaltskarte als Familienangehöriger eines Unionsbürgers verweigert wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 17 und 18 der Richtlinie 2004/38 lauten:
„(17) Wenn Unionsbürger, die beschlossen haben, sich dauerhaft in dem Aufnahmemitgliedstaat niederzulassen, das Recht auf Daueraufenthalt erhielten, würde dies ihr Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt – einem grundlegenden Ziel der Union – beitragen. Es gilt daher, für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die sich gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben und gegen die keine Ausweisungsmaßnahme angeordnet wurde, ein Recht auf Daueraufenthalt vorzusehen.
(18) Um ein wirksames Instrument für die Integration in die Gesellschaft...