Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Freier Dienstleistungsverkehr. Glücksspiele. Annahme von Sportwetten. Erfordernis einer Konzession. Folgen einer Verletzung des Unionsrechts bei der Vergabe von Konzessionen. Vergabe von 16 300 zusätzlichen Konzessionen. Grundsatz der Gleichbehandlung und Transparenzgebot. Grundsatz der Rechtssicherheit. Schutz für Inhaber von früher erteilten Konzessionen. Nationale Regelung. Verbindliche Mindestabstände zwischen Wettannahmestellen. Zulässigkeit. Grenzüberschreitende Tätigkeiten, die mit den konzessionierten vergleichbar sind. Verbot durch eine nationale Regelung
Beteiligte
Tenor
1. Die Art. 43 EG und 49 EG sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat, der unionsrechtswidrig eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern von der Vergabe von Konzessionen für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeschlossen hat und diesen Verstoß durch Ausschreibung einer großen Zahl von neuen Konzessionen beheben will, verbieten, die von den bestehenden Betreibern erworbenen Geschäftspositionen u. a. durch das Vorschreiben von Mindestabständen zwischen den Einrichtungen der neuen Konzessionäre und denen der bestehenden Betreiber zu schützen.
2. Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie Sanktionen wegen Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung gegen Personen, die an einen Wirtschaftsteilnehmer gebunden sind, der von einer Ausschreibung unionsrechtswidrig ausgeschlossen worden war, auch nach der Neuausschreibung zur Behebung dieses Unionsrechtsverstoßes entgegenstehen, soweit diese Ausschreibung und die daraus folgende Vergabe neuer Konzessionen den rechtswidrigen Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von der früheren Ausschreibung nicht wirksam behoben haben.
3. Aus den Art. 43 EG und 49 EG, dem Grundsatz der Gleichbehandlung, dem Transparenzgebot und dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, dass die Bedingungen und Modalitäten eines Vergabeverfahrens wie des in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden und insbesondere Bestimmungen, die wie Art. 23 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 des Mustervertrags zwischen der Amministrazione Autonoma dei Monopoli di Stato und dem Zuschlagsempfänger über die Konzession betreffend Glücksspiele in Bezug auf andere Ereignisse als Pferderennen den Entzug von nach einer solchen Ausschreibung vergebenen Konzessionen vorsehen, klar, genau und eindeutig formuliert sein müssen; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidungen vom 10. November 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 2010, in den Strafverfahren gegen
Marcello Costa (C-72/10),
Ugo Cifone (C-77/10)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Costa, vertreten durch D. Agnello, avvocatessa,
- von Herrn Cifone, vertreten durch D. Agnello, R. Jacchia, A. Terranova, F. Ferraro, A. Aversa, A. Piccinini, F. Donati und A. Dossena, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Arena, avvocato dello Stato,
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, advocaat, und A. Hubert, avocat,
- der spanischen Regierung, vertreten durch F. Diéz Moreno als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und P. Mateus Calado als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Traversa und S. La Pergola als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Oktober 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 43 EG und 49 EG.
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von Strafverfahren gegen Herrn Costa und Herrn Cifone, die Datenübertragungszentren (im Folgenden: DÜZ) betreiben und vertraglich an die Gesellschaft englischen Rechts Stanley International Betting Ltd (im Folgenden: Stanley) gebunden sind, wegen Verstoßes gegen die italienischen Rechtsvorschriften über die Annahme von Wetten, insbesondere das Regio Decreto Nr. 773, Testo Unico delle Leggi di Pubblica Sicurezza (Testo Unico der Gesetze auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit), vom 18. Juni 1931 (GURI Nr. 146 vom 26. Juni 1931) in der durch Art. 37 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 388 vom 23. Dezember 2000 (GURI Nr. 302 vom 29. Dezember 2000, Supplemento ordinario) geänderten Fassun...