Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Insolvenzverfahren. Zahlung, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer vor diesem Zeitpunkt durchgeführten Pfändung erfolgt ist. Klage zur Anfechtung einer den Interessen der Gläubiger zuwiderlaufenden Handlung. Verjährungs-, Anfechtungs- und Ausschlussfristen. Formvorschriften für die Anfechtungsklage. Anwendbares Recht
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 Art. 4, 13
Beteiligte
Tenor
1. Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass er anwendbar ist, wenn die von einem Insolvenzverwalter angefochtene Auszahlung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gepfändeten Geldbetrags erst nach Eröffnung dieses Verfahrens erfolgt ist.
2. Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift enthaltene Ausnahmeregelung auch die Verjährungs-, Anfechtungs- und Ausschlussfristen erfasst, die nach dem Recht vorgesehen sind, das für die vom Insolvenzverwalter angefochtene Rechtshandlung gilt.
3. Die Formvorschriften für die Erhebung einer Insolvenzanfechtungsklage richten sich im Hinblick auf die Anwendung von Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 nach dem Recht, das für die vom Insolvenzverwalter angefochtene Rechtshandlung gilt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Oktober 2013, in dem Verfahren
Hermann Lutz
gegen
Elke Bäuerle als Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der ECZ Autohandel GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin, A. Borg Barthet und E. Levits sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Lutz, vertreten durch Rechtsanwalt C. Brändle,
- von Frau Bäuerle als Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der ECZ Autohandel GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. Nassall,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Kemper und D. Kuon als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch G. Skiani und M. Germani als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und F. de Figueiroa Quelhas als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. November 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4 Abs. 2 Buchst. m und 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Lutz, wohnhaft in Österreich, und Frau Bäuerle als Verwalterin in dem in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der ECZ Autohandel GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) wegen einer Insolvenzanfechtungsklage.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 23 bis 25 der Verordnung Nr. 1346/2000 heißt es:
„(23) Diese Verordnung sollte für den Insolvenzbereich einheitliche Kollisionsnormen formulieren, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sollte das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex concursus) Anwendung finden. Diese Kollisionsnorm sollte für Hauptinsolvenzverfahren und Partikularverfahren gleichermaßen gelten. Die lex concursus regelt alle verfahrensrechtlichen wie materiellen Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die davon betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse; nach ihr bestimmen sich alle Voraussetzungen für die Eröffnung, Abwicklung und Beendigung des Insolvenzverfahrens.
(24) Die automatische Anerkennung eines Insolvenzverfahrens, auf das regelmäßig das Recht des Eröffnungsstaats Anwendung findet, kann mit den Vorschriften anderer Mitgliedstaaten für die Vornahme von Rechtshandlungen kollidieren. Um in den anderen Mitgliedstaaten als dem Staat der Verfahrenseröffnung Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten eine Reihe von Ausnahmen von der allgemeinen Vorschrift vorgesehen werden.
(25) Ein besonderes Bedürfnis für eine vom Recht des Eröffnungsstaats abweichende Sonderanknüpfung besteht bei dinglichen Rechten, da diese für die Gewährung von Krediten von erheblicher Bedeutung sind. Die Begründung, Gültigkeit und Tragweite eines solchen dinglichen Rechts sollten sich deshalb regelmäßig nach dem Recht des Belegenheitsorts bestimmen und von der Eröffnung des Insolv...