Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. Errichtung eines Einkaufszentrums. Bindungswirkung einer Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Keine Beteiligung der Öffentlichkeit

 

Normenkette

Richtlinie 2011/92/EU

 

Beteiligte

Gruber

Karoline Gruber

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend

Unabhängiger Verwaltungssenat für Kärnten

EMA Beratungs- und Handels GmbH

 

Tenor

Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen – wonach eine Verwaltungsentscheidung, mit der festgestellt wird, dass für ein Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung für Nachbarn hat, die vom Recht auf Erhebung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung ausgeschlossen sind – entgegensteht, sofern diese Nachbarn, die zur „betroffenen Öffentlichkeit” im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie gehören, die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das „ausreichende Interesse” oder die „Rechtsverletzung” erfüllen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt ist. Ist dies der Fall, muss das vorlegende Gericht feststellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 16. Oktober 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2013, in dem Verfahren

Karoline Gruber

gegen

Unabhängiger Verwaltungssenat für Kärnten,

EMA Beratungs- und Handels GmbH,

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhász (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Gruber, vertreten durch Rechtsanwalt W. List,
  • der EMA Beratungs- und Handels GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt B. Peck,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wilms und L. Pignataro-Nolin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. November 2014

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Gruber auf der einen Seite und dem Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten (im Folgenden: UVK), der EMA Beratungs- und Handels GmbH (im Folgenden: EMA) und dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend auf der anderen Seite über einen Bescheid, mit dem die Errichtung und der Betrieb eines Einkaufszentrums („Fachmarktzentrum”) auf einem Nachbargrundstück einer Liegenschaft von Frau Gruber genehmigt wurden.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (im Folgenden: Aarhus-Übereinkommen) wurde durch den Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.

Rz. 4

Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens bestimmt:

„(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,

  1. die ein ausreichendes Interesse haben

    oder alternativ

  2. eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.

Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentli...

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