Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Märkte für Finanzinstrumente. Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/65/EU. Ausgenommener Anlagevermittler. Regelung eines Mitgliedstaats, die es diesem Anlagevermittler verbietet, Kundenaufträge an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Wertpapierfirma zu übermitteln
Normenkette
Richtlinie 2014/65/EU Art. 3
Beteiligte
Tenor
Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU
ist dahin auszulegen, dass
Personen, die ein Mitgliedstaat vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen hat, Aufträge von in diesem Mitgliedstaat ansässigen Kunden zur Ausführung an Wertpapierfirmen übermitteln dürfen, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig und gemäß der Richtlinie 2014/65 von der zuständigen Behörde dieses anderen Mitgliedstaats zu diesem Zweck zugelassen sind, und damit einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine solche Übermittlung verbietet.
Tatbestand
In der Rechtssache C-695/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 26. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2022, in dem Verfahren
Fondee a.s.
gegen
Česká národní banka
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi, M. Ilešič, I. Jarukaitis und D. Gratsias (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Fondee a.s., vertreten durch J. Šovar, Advokát,
- – der Česká národní banka, vertreten durch P. Krutiš und J. Spiryt,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Očková, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Auvret, M. Mataija und P. Němečková als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit Art. 34 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. 2014, L 173, S. 349) sowie Art. 56 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fondee a.s. und der Česká národní banka (Tschechische Nationalbank, Tschechische Republik) über ein Bußgeld, das diese wegen Verstoßes gegen das Verbot, Anlageinstrumente betreffende Kundenaufträge an einen in einem anderen Mitgliedstaat als der Tschechischen Republik ansässigen Wertpapierhändler zu übermitteln, gegen Fondee verhängt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. a ergibt, legt die Richtlinie 2014/65 Anforderungen an die Bedingungen für die Zulassung und Tätigkeit von Wertpapierfirmen fest.
Rz. 4
Art. 3 („Fakultative Ausnahmen“) dieser Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 3 vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass diese Richtlinie nicht für Personen gilt, für die sie Herkunftsmitgliedstaat sind, sofern die Tätigkeiten dieser Personen auf nationaler Ebene zugelassen und geregelt sind und diese Personen
…
b) nicht zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen berechtigt sind, außer zur Annahme und Übermittlung von Aufträgen in Bezug auf übertragbare Wertpapiere und Anteile von Organismen für gemeinsame Anlagen und/oder zur Anlageberatung in Bezug auf solche Finanzinstrumente und
c) bei der Erbringung dieser Dienstleistung Aufträge nur übermitteln dürfen an
i) gemäß dieser Richtlinie zugelassene Wertpapierfirmen,
…
(3) Personen, die gemäß Absatz 1 von dieser Richtlinie ausgenommen sind, dürfen die Freiheit der Erbringung von Wertpapierdienstleistung oder der Ausübung von Anlagetätigkeit oder die Freiheit der Errichtung von Zweigniederlassungen gemäß Artikel 34 bzw. 35 nicht in Anspruch nehmen.“
Rz. 5
Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
1. ‚Wertpapierfirma‘ jede juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt.
…
2. ‚Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten‘ jede in Anhang I Abschnitt A genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Instrumente in Anhang I Abschnitt C bezieht.
…
46. ‚börsengehandelter Fonds‘ einen Fonds, bei dem mindestens eine Anteils- ...