Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Wettbewerb. Kartelle. Märkte für Calciumcarbidpulver, Calciumcarbidgranulate und Magnesiumgranulate in einem erheblichen Teil des Europäischen Wirtschaftsraums. Preisfestsetzung, Marktaufteilung und Informationsaustausch. Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft für Zuwiderhandlungen ihrer Tochtergesellschaften gegen die Wettbewerbsregeln. Bestimmender Einfluss der Muttergesellschaft. Widerlegbare Vermutung bei einer Beteiligung von 100 %. Voraussetzung für die Widerlegung dieser Vermutung. Missachtung einer ausdrücklichen Weisung
Normenkette
EG Art. 81
Beteiligte
Evonik Degussa und AlzChem / Kommission |
Tenor
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Evonik Degussa GmbH und die AlzChem AG tragen ihre eigenen Kosten und werden verurteilt, die der Europäischen Kommission entstandenen Kosten zu tragen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 3. April 2014,
Evonik Degussa GmbH mit Sitz in Essen (Deutschland),
AlzChem AG, vormals AlzChem Trostberg GmbH, mit Sitz in Trostberg (Deutschland),
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Steinle und I. Bodenstein,
Rechtsmittelführerinnen,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch G. Meessen und R. Sauer als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter), A. Rosas, E. Juhász und C. Vajda,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2015,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. September 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel begehren die Evonik Degussa GmbH (im Folgenden: Degussa) und die AlzChem AG, vormals AlzChem Trostberg GmbH, die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 23. Januar 2014, Evonik Degussa und AlzChem/Kommission (T-391/09, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2014:22), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2009) 5791 endg. der Kommission vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und die Gasindustrien) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie die Rechtsmittelführerinnen betrifft, und, hilfsweise, auf Abänderung dieser Entscheidung dahin, dass die ihnen auferlegte Geldbuße aufgehoben oder herabgesetzt wird und die SKW Stahl-Metallurgie GmbH (im Folgenden: SKW) zusammen mit den Rechtsmittelführerinnen für den vollen Betrag dieser Geldbuße gesamtschuldnerisch haftet, teilweise abgewiesen hat.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) enthält die Regelung der Geldbußen, die von der Europäischen Kommission aufgrund der Art. 81 EG und 82 EG verhängt werden können.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung
Rz. 3
Die relevante Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Rn. 1 bis 4 des angefochtenen Urteils wie folgt dargestellt:
„1 Mit [der streitigen Entscheidung] stellte die [Kommission] fest, dass die Hauptanbieter von Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und Gasindustrie gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen hätten, indem sie sich vom 7. April 2004 bis 16. Januar 2007 an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung beteiligt hätten. Diese habe in einer Aufteilung der Märkte, einer Festsetzung von Quoten, einer Aufteilung der Kunden, einer Festsetzung der Preise und einem Austausch vertraulicher Geschäftsinformationen über Preise, Kunden und Verkaufsvolumina im EWR mit Ausnahme von Irland, Spanien, Portugal und dem Vereinigten Königreich bestanden.
2 Das Verfahren war auf einen von der Akzo Nobel NV eingereichten Antrag auf Erlass von Geldbußen im Sinne der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung) hin eingeleitet worden.
3 In Art. 1 Buchst. f der [streitigen] Entscheidung hat die Kommission festgestellt, dass sich [Degussa] und die AlzChem Hart GmbH (jetzt [AlzChem], vormals AlzChem Trostberg GmbH) – die Klägerinnen – vom 22. April bis zum 30. August 2004 an der Zuwiderhandlung beteiligt hätten. Sie wurden wegen der direkten Beteiligung von Mitarbeitern der SKW Stahl-Technik GmbH & Co. KG, die seit 2005 unter der Bezeichnung [SKW] firmiert …, an der strei...