Entscheidungsstichwort (Thema)
Nationale Rechtsvorschriften, die die Durchführung bestimmter Hafenarbeiten anerkannten Hafenarbeitern vorbehalten. Begriffe des „Unternehmens”, des „Hafengebietes” und des „Hafenarbeiters”. Besondere oder ausschließliche Rechte
Normenkette
EGV Art. 86 Abs. 1-2
Beteiligte
Tenor
Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 1 EG) in Verbindung mit den Artikeln 6 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 Absatz 1 EG), 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) ist dahin auszulegen, daß er dem einzelnen nicht das Recht verleiht, sich der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats zu widersetzen, die ihn verpflichtet, für die Verrichtung von Hafenarbeiten ausschließlich anerkannte Hafenarbeiter wie die im belgischen Gesetz von 1972 bezeichneten in Anspruch zu nehmen und diesen ein Arbeitsentgelt zu zahlen, das weit über die Löhne seiner eigenen Beschäftigten oder die Löhne, die er anderen Arbeitnehmern zahlt, hinausgeht.
Gründe
1.
Der Hof van Beroep Gent hat mit Urteil vom 15. Januar 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Januar 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 90 Absätze 1 und 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absätze 1 und 2 EG) in Verbindung mit den Artikeln 6 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG), 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren gegen Herrn Becu und Frau Verweire sowie die Smeg NV, deren Direktor Herr Becu ist, und die Adia Interim NV, deren Geschäftsführerin Frau Verweire ist; allen Angeklagten wird vorgeworfen, daß sie unter Verstoß gegen das Gesetz vom 8. Juni 1972 über die Hafenarbeit (Belgisch Staatsblad vom 10. August 1972, S. 8826; im folgenden: Gesetz von 1972) Hafenarbeiten im Gebiet des Hafens von Gent von nicht anerkannten Hafenarbeitern verrichten ließen.
Die nationalen Rechtsvorschriften
3.
Artikel 1 des Gesetzes von 1972 bestimmt: „Niemand darf in Hafengebieten Hafenarbeit von anderen Arbeitnehmern als anerkannten Hafenarbeitern verrichten lassen. „Nach Artikel 4 dieses Gesetzes werden der Arbeitgeber, seine Angestellten oder seine Bevollmächtigten, die es zulassen oder veranlassen, daß diese Arbeit unter Verstoß gegen das Gesetz oder dessen Durchführungsverordnungen verrichtet wird, mit Geldstrafe bestraft.
4.
Wegen der Abgrenzung der Begriffe „Hafengebiete” und „Hafenarbeit” verweist Artikel 2 des Gesetzes von 1972 auf die zur Durchführung des Gesetzes vom 5. Dezember 1968 über Tarifverträge und paritätische Ausschüsse (Belgisch Staatsbladvom 15. Januar 1969, S. 267; im folgenden: Gesetz von 1968) ergangenen Königlichen Verordnungen. Die Artikel 35 und 37 des Gesetzes von 1968 sehen die Bildung von paritätischen Ausschüssen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und, auf Antrag dieser Ausschüsse, von paritätischen Unterausschüssen durch den König vor. Diese paritätischen Ausschüsse und Unterausschüsse bestehen aus einem Vorsitzenden und einem stellvertretenden Vorsitzenden, einer gleichen Zahl von Vertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie zwei oder mehr Sekretären (Artikel 39). Ihre Aufgabe ist es insbesondere, an der Erarbeitung von Tarifverträgen durch die vertretenen Organisationen mitzuwirken (Artikel 38).
5.
Nach Artikel 6 des Gesetzes von 1968 können Tarifverträge in einem Ausschuß oder Unterausschuß geschlossen werden. In diesem Fall müssen die Verträge nach den Artikeln 24 und 28 dieses Gesetzes von allen im Ausschuß vertretenen Organisationen geschlossen werden; außerdem können sie auf Antrag einer dieser Organisationen oder des Ausschusses, in dem sie geschlossen worden sind, vom König für allgemeinverbindlich erklärt werden. Nach Artikel 31 des Gesetzes von 1968 bindet ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag alle Arbeitgeber und
Arbeitnehmer, die zum Zuständigkeitsbereich des betreffenden paritätischen Ausschusses gehören, soweit sie in den im Tarifvertrag bestimmten Geltungsbereich fallen.
6.
Artikel 1 der Königlichen Verordnung vom 12. Januar 1973 zur Einsetzung des paritätischen Ausschusses für den Hafenbetrieb sowie zur Festlegung seiner Bezeichnung und seiner Zuständigkeit (Belgisch Staatsblad vom 23. Januar 1973, S. 877) in seiner u. a. durch die Königliche Verordnung vom 8. April 1989 (Belgisch Staatsblad vom 20. April 1989, S. 6599; im folgenden: Königliche Verordnung von 1973) geänderten Fassung definiert „Hafenarbeit” als „jede Behandlung von Waren, die per See- oder Binnenschiff, Bahn oder Lastkraftwagen an- oder abtransportiert werden, und die mit diesen Waren in Zusammenhang stehenden Nebendienstleistungen, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten in Docks, auf Wasserstraßen oder Kaianlagen oder in Einrichtungen ausgeübt werden, die sich auf die Einfuhr, die Ausfuhr und den Transit von Waren beziehen, sowie jede Behandlung von Waren, die per See- ...