Entscheidungsstichwort (Thema)

Freizügigkeit. Einreise- und Aufenthaltsrecht von Angehörigen der Mitgliedstaaten. Verpflichtung zur Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses. Voraussetzung für die Anerkennung des Aufenthaltsrechts. Sanktion. Vorschrift über die Inhaftnahme zum Zweck der Abschiebung

 

Beteiligte

Oulane

Salah Oulane

Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie

 

Tenor

1. Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung des Aufenthaltsrechts eines Empfängers von Dienstleistungen, der Angehöriger eines anderen Mitgliedstaat ist, nicht davon abhängig machen kann, dass der Betroffene einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, sofern seine Identität und seine Staatsangehörigkeit zweifelsfrei mit anderen Mitteln nachgewiesen werden können.

2. Artikel 49 EG steht dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten der Verpflichtung unterworfen werden, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, wenn in diesem Mitgliedstaat für die eigenen Staatsangehörigen keine allgemeine Ausweispflicht gilt, sondern diesen erlaubt ist, ihre Identität mit jedem nach nationalem Recht zulässigen Mittel nachzuweisen.

3. Eine Maßnahme der Inhaftnahme eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats zum Zweck der Abschiebung, die wegen der unterbliebenen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses – auch ohne Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung – angeordnet wird, stellt ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar und verstößt damit gegen Artikel 49 EG.

4. Es ist Sache der Angehörigen eines Mitgliedstaats, die sich als Empfänger von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, die Nachweise dafür zu erbringen, dass ihr Aufenthalt ordnungsgemäß ist. In Ermangelung solcher Nachweise kann der Aufnahmemitgliedstaat unter Beachtung der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen ihre Abschiebung anordnen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Rechtbank te 's-Gravenhage (Niederlande) mit Entscheidung vom 12. Mai 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2003, in dem Verfahren

Salah Oulane

gegen

Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von S. Oulane, vertreten durch M. N. R. Nasrullah, advocaat,
  • des Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie, vertreten durch R. van Asperen, advocaat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigten,
  • der französischen Regierung, vertreten durch A. Bodard-Hermant als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch A. Cingolo als Bevollmächtigten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch J. van Bakel und H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Oktober 2004,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (ABl. L 172, S. 14).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines von Herrn Oulane, einem französischen Staatsangehörigen (im Folgenden: Beschwerdeführer), gegen den Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie (Minister für Ausländerfragen und Integration, im Folgenden: Minister) angestrengten Verfahrens über die Abschiebungshaft des Beschwerdeführers wegen unterbliebener Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses zum Nachweis seiner Eigenschaft als Gemeinschaftsangehöriger.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

3

Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 73/148 bestimmt:

„Für Leistungserbringer und Leistungsempfänger entspricht das Aufenthaltsrecht der Dauer der Leistung.

Übersteigt diese Dauer drei Monate, so stellt der Mitgliedstaat, in dem die Leistung erbracht wird, zum Nachweis dieses Rechts eine Aufenthaltserlaubnis aus.

Beträgt diese Dauer drei Monate oder weniger, so genügt der Personalausweis oder Reisepass, mit dem der Betroffene in da...

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