Entscheidungsstichwort (Thema)
Option zur Kleinunternehmerregelung, Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der es untersagt ist, eine besondere Mehrwertsteuerregelung ‐ die eine Steuerbefreiung für Kleinunternehmen vorsieht und die gemäß den Bestimmungen von Titel XII Kapitel 1 Abschnitt 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erlassen wurde ‐ auf einen Steuerpflichtigen anzuwenden, der alle materiellen Voraussetzungen erfüllt, der aber von der Möglichkeit, die Anwendung dieser Regelung zu wählen, nicht zu dem Zeitpunkt Gebrauch gemacht hat, zu dem er der Steuerverwaltung die Aufnahme seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten angezeigt hat.
Normenkette
EGRL 112/2006
Beteiligte
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága |
Verfahrensgang
Nyíregyházi Közigazgatási (Ungarn) (Beschluss vom 25.10.2016; ABl. EU 2017, Nr. C 104/24) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 282 bis 292 ‐ Sonderregelung für Kleinunternehmen ‐ Steuerbefreiungsregelung ‐ Verpflichtung, sich im Referenzkalenderjahr für die Anwendung der Sonderregelung zu entscheiden“
In der Rechtssache C-566/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nyíregyházi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Nyíregyháza, Ungarn) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2016, in dem Verfahren
Dávid Vámos
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits (Berichterstatter) und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger sowie des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und E. E. Sebestyén als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und B. Béres als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. November 2017
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Unionsrechts und im Besonderen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Dávid Vámos und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Direktion für Rechtsbehelfsangelegenheiten der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) (im Folgenden: Direktion für Rechtsbehelfsangelegenheiten) wegen deren Entscheidung, mit der Mehrwertsteuerschulden von Herrn Vámos festgestellt und gegen ihn eine Geldbuße sowie ein Säumniszuschlag verhängt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„(1) Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.
…“
Rz. 4
Art. 213 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.
Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Bedingungen der Steuerpflichtige die Anzeigen elektronisch abgeben darf, und können die elektronische Abgabe der Anzeigen auch vorschreiben.“
Rz. 5
In Art. 214 dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgende Personen jeweils eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten:
a) jeder Steuerpflichtige, der in ihrem jeweiligen Gebiet Lieferungen von Gegenständen bewirkt oder Dienstleistungen erbringt, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht und bei denen es sich nicht um Lieferungen von Gegenständen oder um Dienstleistungen handelt, für die die Mehrwertsteuer gemäß den Artikeln 194 bis 197 sowie 199 ausschließlich vom Dienstleistungsempfänger beziehungsweise der Person, für die die Gegenstände oder Dienstleistungen bestimmt sind, geschuldet wird; hiervon ausgenommen sind die in Artikel 9 Absatz 2 genannten Steuerpflichtigen;
…“
Rz. 6
In Art. 272 dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten können folgende Steuerpflichtige von bestimmten oder allen Pflichten nach den Kapiteln 2 bis 6 befreien:
…
d) Steuerpflichtige, die die Steuerbefreiung fü...