Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Äquivalenzgrundsatz. Effektivitätsgrundsatz. Hypothekenvertrag. Missbräuchlichkeit der im Hypothekenvertrag enthaltenen Mindestzinssatzklausel. Nationale Vorschriften über das Berufungsverfahren. Zeitliche Begrenzung der Wirkungen der Nichtigerklärung einer missbräuchlichen Klausel. Erstattung. Befugnis des nationalen Berufungsgerichts zur Prüfung von Amts wegen
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG
Beteiligte
Tenor
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Grundsätzen des nationalen Gerichtsverfahrens entgegensteht, nach denen ein nationales Gericht, das mit einer Berufung gegen ein Urteil befasst ist, mit dem die Erstattung der vom Verbraucher aufgrund einer für missbräuchlich erklärten Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge einer zeitlichen Begrenzung unterworfen wird, nicht von Amts wegen einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 aufgreifen und keine vollständige Erstattung dieser Beträge anordnen darf, sofern das Nichtvorgehen des betreffenden Verbrauchers gegen diese zeitliche Begrenzung nicht auf eine völlige Untätigkeit des Verbrauchers zurückgeführt werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidung vom 27. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 2019, in dem Verfahren
L
gegen
Unicaja Banco SA, vormals Banco de Caja España de Inversiones, Salamanca y Soria SAU,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin (Berichterstatter) und I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb, N. Piçarra, der Richterin L. S. Rossi und des Richters A. Kumin,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von L, vertreten durch M. Pérez Peña, Abogado,
- der Unicaja Banco SA, vormals Banco de Caja España de Inversiones, Salamanca y Soria SAU, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo, Abogado, und A. M. Rodríguez Conde, Abogada,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta und M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und S. Šncindelková als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Rocchitta, Avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García, J. Baquero Cruz und C. Valero als Bevollmächtigte,
- des Königreichs Norwegen, vertreten durch L.-M. Moen Jünge, M. Nilsen und J. T. Kaasin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen L und der Banco de Caja España de Inversiones, Salamanca y Soria SAU, deren Rechtsnachfolge die Unicaja Banco SA angetreten hat (im Folgenden zusammen: Bank). Das Verfahren betrifft die seitens des Berufungsgerichts unterbliebene Prüfung von Amts wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es, dass „[d]ie Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten … über angemessene und wirksame Mittel verfügen [müssen], damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird”.
Rz. 4
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.”
Spanisches Recht
Rz. 5
Art. 1303 des Código Civil (Zivilgesetzbuch) lautet:
„Ist eine Verpflichtung für nichtig erklärt worden, müssen die Vertragsparteien unbeschadet der folgenden Artikel einander die Sachen, die Gegenstand des Vertrags gewesen sind, mit ihren Früchten sowie den Preis mitsamt Zinsen zurückerstatten.”
Rz. 6
Art. 216 der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/2000 über den Zivilprozess) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575) (im...