Entscheidungsstichwort (Thema)
Konzession für die öffentliche Dienstleistung der Gasverteilung. Vorzeitige Beendigung mit Ablauf eines Übergangszeitraums. Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit
Normenkette
EG Art. 43, 49, 86; RL 2003/55/EG
Beteiligte
Tenor
1. Die Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG steht einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegen, die den Übergangszeitraum, an dessen Ende eine Konzession für die Erdgasverteilung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorzeitig zu beenden ist, unter den in dieser Regelung festgelegten Voraussetzungen verlängert. Unter diesen Umständen ist weiter davon auszugehen, dass auch Art. 10 EG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung nicht entgegenstehen.
2. Die Art. 43 EG, 49 EG und 86 Abs. 1 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegen, die die Dauer des Übergangszeitraums, an dessen Ende eine Konzession für die Erdgasverteilung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorzeitig zu beenden ist, unter den in dieser Regelung festgelegten Voraussetzungen verlängert, sofern diese Verlängerung als erforderlich angesehen werden kann, damit die Vertragsparteien ihre Vertragsbeziehungen unter Bedingungen beenden können, die sowohl im Hinblick auf die Erfordernisse der öffentlichen Dienstleistung als auch in wirtschaftlicher Hinsicht annehmbar sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom 23. Mai 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 17. August 2006, in dem Verfahren
ASM Brescia SpA
gegen
Comune di Rodengo Saiano,
Beigeladene:
Anigas – Associazione Nazionale Industriali del Gas,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J. Makarczyk, P. Kūris und J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterin C. Toader,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ASM Brescia SpA, vertreten durch V. Salvadori, A. Salvadori, G. Caia und N. Aicardi, avvocati,
- der Anigas – Associazione Nazionale Industriali del Gas, vertreten durch M. Zoppolato und D. Gazzola, avvocati,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis, B. Schima und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. April 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 EG, 43 EG, 49 EG und 86 Abs. 1 EG, der Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit sowie der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der ASM Brescia SpA (im Folgenden: ASM Brescia) gegen die Gemeinde Rodengo Saiano wegen des Beschlusses Nr. 19 des Rates dieser Gemeinde vom 19. Juli 2005, mit dem der Ablauf der Konzession, die diese Gemeinde der ASM Brescia für die Dienstleistung der Erdgasverteilung auf dem Gemeindegebiet erteilt hatte, zum 31. Dezember 2005 bestätigt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/55 lautet:
„Die Freiheiten, die der Vertrag den europäischen Bürgern garantiert (freier Waren- und Dienstleistungsverkehr und Niederlassungsfreiheit), sind nur in einem vollständig geöffneten Markt möglich, der allen Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und allen Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet.”
Rz. 4
Der achte Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:
„Zur Vollendung des Erdgasbinnenmarkts ist ein nichtdiskriminierender Zugang zum Netz des Fernleitungs- und Verteilernetzbetreibers von größter Bedeutung. Ein Fernleitungs- oder Verteilernetzbetreiber kann aus einem oder mehreren Unternehmen bestehen.”
Rz. 5
Der zehnte Erwägungsgrund dieser Richtlinie sieht vor:
„Um einen effizienten und nichtdiskriminierenden Netzzugang zu gewährleisten, ist es angezeigt, dass die Fernleitungs- und Verteilernetze durch unterschiedliche Rechtspersonen betrieben werden, wenn vertikal integrierte Unternehmen bestehen. Die Kommission sollte von den Mitgliedstaaten zur Verwirklichung dieser Voraussetzung entwickelte Maßnahmen gleicher Wirkung prüfen und gegebenenfalls Vorschläge zur Änderung dieser Richtlinie vorlegen.
Der Fernleitungs- und der Verteilernetzbetreiber sollte ferner übe...