Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Begriff der ‚personenbezogenen Daten’. Umfang des Auskunftsrechts der betroffenen Person. Daten und rechtliche Analyse in einer die Entscheidung vorbereitenden Entwurfsschrift der Verwaltung
Normenkette
Richtlinie 95/46/EG Art. 2, 12-13; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 8, 41
Beteiligte
Minister voor Immigratie, Integratie en Asiel |
Minister voor Immigratie, Integratie en Asiel |
Tenor
1. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass es sich zum einen bei den Daten über denjenigen, der einen Aufenthaltstitel beantragt, die in einem Verwaltungsdokument wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Entwurfsschrift” wiedergegeben sind, in dem im Rahmen des Verfahrens, das dem Erlass einer Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines derartigen Titels vorgeschaltet ist, der zuständige Sachbearbeiter die Gründe darlegt, auf denen der Entscheidungsentwurf beruht, und zum anderen bei den Daten, die gegebenenfalls in der in der Entwurfsschrift enthaltenen rechtlichen Analyse wiedergegeben sind, um „personenbezogene Daten” im Sinne dieser Bestimmung handelt. Diese Einstufung gilt allerdings nicht für die Analyse als solche.
2. Art. 12 Buchst. a der Richtlinie 95/46 und Art. 8 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass derjenige, der einen Aufenthaltstitel beantragt, ein Auskunftsrecht hinsichtlich sämtlicher ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, die Gegenstand einer Verarbeitung durch die nationalen Verwaltungsbehörden im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie sind. Zur Wahrung dieses Auskunftsrechts genügt es, dass der Antragsteller eine vollständige Übersicht dieser Daten in verständlicher Form erhält, d. h. in einer Form, die es ihm ermöglicht, von den genannten Daten Kenntnis zu erlangen und zu prüfen, ob sie richtig sind und der Richtlinie gemäß verarbeitet werden, so dass er gegebenenfalls die ihm in dieser Richtlinie verliehenen Rechte ausüben kann.
3. Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass derjenige, der einen Aufenthaltstitel beantragt, sich gegenüber den nationalen Behörden nicht auf diese Bestimmung berufen kann.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Middelburg (C-141/12) und vom Raad van State (C-372/12) (Niederlande) mit Entscheidungen vom 15. März 2012 bzw. vom 1. August 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2012 und am 3. August 2012, in den Verfahren
Y. S. (C-141/12)
gegen
Minister voor Immigratie, Integratie en Asiel
und
Minister voor Immigratie, Integratie en Asiel (C-372/12)
gegen
M.,
S.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Y. S., M. und S., vertreten durch B. Scholten, J. Hoftijzer und I. Oomen, advocaten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und C. Wissels als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der griechischen Regierung, vertreten durch E.-M. Mamouna und D. Tsagkaraki als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Menez als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und C. Vieira Guerra als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Martenczuk, P. van Nuffel und C. ten Dam als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Dezember 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 2 Buchst. a, 12 Buchst. a und 13 Abs. 1 Buchst. d, f und g der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) sowie der Art. 8 Abs. 2 und 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen zum einen Y. S., einem Drittstaatsangehörigen, der in den Niederlanden einen Antrag auf eine befristete Aufenthaltserlaubnis gestellt hatte, und dem Minister voor Immigratie, Integr...