Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Einreiseverbot. Drittstaatsangehöriger, gegenüber dem ein solches Verbot verhängt wurde, der aber den betreffenden Mitgliedstaat nie verlassen hat. Nationale Regelung, die für den Aufenthalt dieses Drittstaatsangehörigen in diesem Mitgliedstaat trotz seiner Kenntnis von dem ihm gegenüber verhängten Einreiseverbot eine Freiheitsstrafe vorsieht

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG Art. 11

 

Beteiligte

JZ

JZ

 

Tenor

Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, insbesondere ihr Art. 11, ist dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die vorsieht, dass gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, für den das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückkehrverfahren abgeschlossen worden ist, ohne dass er das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten tatsächlich verlassen hat, eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wenn das strafbare Verhalten umschrieben wird als der illegale Aufenthalt in Kenntnis eines Einreiseverbots, das insbesondere wegen Vorstrafen des Betroffenen oder der Gefahr, die er für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellt, verhängt wurde, sofern das strafbare Verhalten nicht durch Bezugnahme auf einen Verstoß gegen dieses Einreiseverbot umschrieben wird und diese Regelung hinreichend zugänglich, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbar ist, um jede Gefahr von Willkür zu vermeiden, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 27. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Dezember 2018, in dem Strafverfahren gegen

JZ

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von JZ, vertreten durch S. J. van der Woude und J. P. W. Temminck Tuinstra, advocaten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. H. S. Gijzen und J. Langer als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil, A. Brabcová und A. Pagáčová als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. April 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das gegen JZ, der 1969 in Algerien geboren wurde und Staatsangehöriger dieses Drittstaats sein soll, eingeleitet wurde, weil er sich am 21. Oktober 2015 in den Niederlanden aufgehalten habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass gegen ihn mit Bescheid vom 19. März 2013 ein Einreiseverbot verhängt worden sei.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2, 4 und 14 der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„(2) Auf seiner Tagung am 4. und 5. November 2004 in Brüssel forderte der Europäische Rat zur Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik auf, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden.

(4) Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.

(14) Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen sollte durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt erhalten. Die Dauer des Einreiseverbots sollte in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden und im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen bereits Gegenstand von mehr als einer Rückkehrentscheidung oder Abschiebungsanordnung gewesen oder während eines Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist sind, besonders berücksicht...

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